Ein deutscher Wandersommer
Duftkerzen, allerlei Schnickschnack – und reihenweise Schnäpse, vor allem natürlich den Hirschberger Kräuter-Bitter.
Karpfen-Klaus
Meine Kleidung war nass, der Hut war nass, Cleo war nass, und in der Schnapsecke stand einer in Tarnmantel und Gummistiefeln, mit einer Flasche Bier in der Hand und fragte: »Na, sag mal, wo kommt ihr denn her? Angelt ihr auch? – Ich bin der Karpfen-Klaus.«
Da ich selbst gern angle, kamen wir sofort ins Gespräch. Karpfen-Klaus war ein sehr lustiger, ein sehr bescheidener Mensch, dessen Leben sich ums Angeln drehte. Ein richtiger Vollblutangler. Ich war als Kind genauso, baute mir Schwimmer und Ruten selbst. Für meine erste richtige Angelrute hatte ich mir Bambus gekauft, der aus Vietnam kam, das weiß ich noch genau. Ich sägte die Stange in Stücke und bastelte mir mithilfe von Hülsen eine Steckrute. Die Schnurlaufringe befestigte ich mit Bindegarn, und unten kam eine Halterung dran. Meine erste Rolle war ganz einfach, aber immerhin zum Kurbeln. Davor hatte ich nureine Stipprute: eine Schnur mit Schwimmer, Blei und Haken an einem Haselnussstock; damit habe ich im Thüringer Wald die besten Forellen gefangen.
»Wieso nennen dich die Leute hier eigentlich Karpfen-Klaus? Der Oberlauf der Saale ist eine typische Forellen- oder Äschenregion, aber doch nicht für Karpfen bekannt«, stellte ich schließlich die Frage, die mich schon die ganze Zeit über beschäftigte.
»Hier gibt es ein Wehr, und oberhalb davon ist die Saale aufgestaut und sehr breit. Da hat unser Angelverein Karpfen reingesetzt. Solche Kaventsmänner« – Karpfen-Klaus zeigte mit seinen Armen eine beachtliche Größe an – »schwimmen da herum! Hechte haben wir hier auch. Ich angle jeden Tag, und fast immer kriege ich einen.« Und um seine Worte zu unterstreichen, zog er tatsächlich einen Hecht, den größten Raubfisch unserer Binnengewässer, aus seinem Rucksack.
»Was machst du denn mit so viel Fisch?«, fragte ich erstaunt.
»Na, essen«, antwortete Karpfen-Klaus verdutzt.
»Alle? Du allein?«
»Nein«, lachte er, »ich habe eine Frau und viele Freunde. Und viele in Hirschberg haben keine Arbeit, die freuen sich immer, wenn ich ihnen einen Fisch schenke. Fisch zu essen ist hier außerdem Tradition.«
Der Sportfischereiverein Hirschberg hat einen Teil der Saale vom Land Thüringen gepachtet. Genauer gesagt die eine Hälfte eines Teils der Saale, denn jenseits der Flussmitte angelt die Konkurrenz: ein bayerischer Verein. Was die Sache recht pikant macht, ist, dass die Saale bei Hirschberg nicht breiter als zehn Meter ist.
»Das ist eine Riesensauerei!«, schimpfte Karpfen-Klaus in seinem thüringischen Dialekt. »Die Bayern da drüben,die dürfen schon ab dem 15.April Forellen angeln, und wir, wir hier in Thüringen, erst ab dem 1.Mai! Ich kann dir sagen, wenn wir hier anfangen, dann haben die auf der anderen Seite schon die ganzen dicken Fische rausgefangen!«
»Warum trittst du dann nicht dem bayerischen Verein bei?«, fragte ich arglos. »Es gibt doch hier überall Brücken. Da bist du doch gleich drüben und kannst von dort auswerfen.«
»Na hör mal, ich bin doch Thüringer und kein Bayer!«, echauffierte sich da Karpfen-Klaus. »Ich kann doch nicht von der bayerischen Seite aus angeln!« – Es war köstlich. Und dann sagte er noch: »Aber ich sag dir eins, im Forellenpuff war ich noch nie.«
Sogenannte Forellenpuffs sind meistens eigens zu diesem Zweck ausgehobene Teiche mit einer Bude, an der man Würstchen und Bier und eine Tagesangelkarte kaufen kann. Je nachdem, wie viel Geld man auf den Tisch blättert, werden aus einem großen Wasserbehälter, der per Pressluftflasche mit Sauerstoff durchströmt wird, Fische in den Teich umgesetzt: kleine Fische, mittlere Fische, große Fische. Besonders gut funktioniert das Ganze mit Forellen, speziell mit der amerikanischen Regenbogenforelle, die in Hybridform in alle möglichen Richtungen gezüchtet wurde: Lachsforelle, Silberforelle und Goldforelle. In den »Seen der Kapitalen« kann man für viel Geld auch auf Monsterkarpfen, große Störe, gewaltige Hechte, riesige Welse – ein »riesiger Wels« kann ein Meter achtzig lang und vierzig Kilo schwer sein – angeln. Der Angler fängt mehr oder weniger die Fische heraus, die gerade erst reingesetzt worden waren. Das ist in meinen Augen die übelste, unsportlichste und primitivste Art des Angelns. Denn Fische, die umgesetzt werden, schwimmen erst einmal verstört im Kreis, weil sie das Gewässer und
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