Ein deutscher Wandersommer
Eisvogels könnte sein, dass ein totes Junges durch die enge Brutröhre nicht so leicht aus der Höhle zu schaffen wäre und der verwesende Körper den gesamten Nachwuchs gefährden könnte.
An einer Stelle fuhren Cleo und ich unter einer riesigen Brücke der A 9 von Nürnberg nach Leipzig durch, die aus unserer Perspektive wie eine Kathedrale wirkte. Von den Ufern grüßten uns Angler mit »Petri heil!« und »Na, schon was gefangen?«. Einige warnten auch: »Pass bloß auf, da unten kommt gleich ein Wehr.«
Es gibt Sturzwehre, an denen das Wasser mehr oder weniger senkrecht in die Tiefe stürzt, und Rutschwehre, an denen es auf schrägem Untergrund vergleichsweise gemächlich abfließt. Vor uns lag, wie ich wusste, ein Rutschwehr. Vermutlich kein Problem, dachte ich, da hast du bestimmt schon Schlimmeres durchfahren, die Stromschnellen waren bislang ja auch nicht gerade spektakulär. Die Saale hatte da in der Tat so wenig Wasser, dass wir mitten auf dem Wehr an einer Betonerhebung abrupt abgebremst wurden. Cleo rutschte nach vorn, ich hinterher. Das muss sehr, sehr komisch ausgesehen haben, denn dieAngler am Ufer kriegten sich vor Lachen nicht mehr ein. Ich ruderte ein bisschen mit dem Paddel herum und bekam uns wieder frei. Wenigstens blieb mir so die Blamage erspart, aus dem Kanu aussteigen und es anschieben zu müssen.
Kurze Zeit darauf ging es wieder zu Fuß weiter. Früher, selbst noch in den Anfangsjahren der DDR , kamen viele Wanderarbeiter aus dem benachbarten Bayern in die Schieferbrüche im Ostthüringer Wald und im Thüringer Schiefergebirge, in denen gutes Geld zu verdienen war.
Schiefer, der nur sehr langsam verrottet, wurde früher in erster Linie beim Bau von Häusern und Dächern eingesetzt, sodass in dieser Gegend, in der das Schieferhandwerk eine sehr lange Tradition hat, die Dörfer alle in Einheitsblaugrau erscheinen. Mittlerweile ist Schiefer auch im Innenausbau – etwa für Bäder und Küchen – in Mode. Aber ob innen oder außen: Thüringer und generell deutscher Schiefer findet sich immer seltener, da importierter Schiefer aus China, Indien, Spanien oder Portugal trotz der zum Teil langen Transportwege billiger ist.
Die öffentliche Hand steht immer wieder in der Kritik, weil sie Steuergelder verschleudert. Doch da, wo eine Mehrausgabe sinnvoll wäre, um einheimische Unternehmen zu unterstützen, fängt sie auf einmal zu sparen an. So wurde ein Spaßbad ganz in der Nähe, das nach der Wende mit EU -Fördermitteln gebaut wurde, mit Schiefer aus China verkleidet – und das, obwohl Schiefer aus Thüringen von höchster Qualität ist und sogar als einer der besten der Welt gilt. Da kann man nur noch den Kopf schütteln.
Schiefergebirge klingt nach nacktem Gestein, kahlem Fels, und in der Tat sieht man ständig mit Schieferbruch übersäte Abhänge. Doch in erster Linie sieht man Wald und – noch mehr Wald.
Deutschland, deine Wälder
Deutschland ist, was vielen nicht bewusst sein dürfte, das waldreichste Land Europas: Ein Drittel der Fläche ist Wald, und wir besitzen mehr Holzvorräte als Schweden oder Finnland: geschätzte 3,4 bis 3,9 Milliarden Kubikmeter in über elf Millionen Hektar Wald. Oder plastischer: 39 Milliarden Bäume. Die Skandinavier haben vielleicht mehr Bäume als wir, aber die unseren haben dickere Stämme, somit mehr Festmeter, wie der Forstmann sagt. Die waldreichsten Bundesländer mit je um die 40 (!) Prozent Waldfläche sind – in alphabetischer Reihenfolge – Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland, die waldärmsten sind Sachsen (mit immer noch etwa 20 Prozent) und Schleswig-Holstein (knapp zehn Prozent).
Grundsätzlich kann sich Wald dank sogenannter Naturverjüngung selbst regenerieren, wie er es ja auch über Jahrtausende getan hat. Wird es zu dunkel und zu schattig, sterben zuerst die kleineren, irgendwann auch große Bäume. Stürme lichten den Wald ebenfalls. Alte und kranke Bäume brechen weg und schaffen Platz. Der Wind und zig Tierarten sorgen dafür, dass die Samen der Bäume verbreitet und über den Wald verteilt werden. Und siehe da, überall wachsen junge Bäume.
Nun haben wir in Deutschland zwar sehr viel Wald, aber kaum Urwälder. Über 99 Prozent der Wälder sind nicht natürlich gewachsen, sondern von Menschenhand angelegter Wirtschaftswald, also gehegt und gepflegt, durchforstet, durchgebürstet, geharkt, von Totholz gesäubert, in Abteilungen geteilt, von Rückeschneisen, Maschinenwegen und so weiter
Weitere Kostenlose Bücher