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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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Fotomotiv.
    Viele Menschen finden die Vorstellung, dass ein Jäger in den Wald geht und ein Tier tötet, abschreckend – und sitzen am Abend vor einem Schweineschnitzel aus dem Supermarkt, wo ich sage: die arme Sau. Und damit meine ich nicht den Menschen. In Mastanlagen stehen Zigtausende Schweine dicht an dicht in Dreck und Gestank, führen ein elendes, grausames Leben. Sie sind zum Nahrungsmittel degradiert. Wir sehen in ihnen, zerlegt und abgepackt, kein leidensfähiges Wesen mit einer Seele mehr. Ähnlich geht es auf großen Puten- und Hühnerfarmen zu. Zum Glück, möchte man fast sagen, ist den Tieren kein langes Leben beschieden. Wild dagegen ist in Freiheit geboren, wurde von der Mutter großgezogen, hat – sofern es nicht von Natur aus ein Einzelgänger ist – im Rudel oder in der Rotte gelebt, durfte sich paaren und Junge bekommen. Und dann kam irgendwann die ultraschnelle Kugel, es gab einen dumpfen Schlag, und das war’s. Ein schneller und gnädiger Tod. Meine Familie und ich essen daher nur Wildfleisch, kein Geflügel oder anderes Fleisch aus Massentierhaltung. Natürlich kann sich nicht jeder ein Stück Wild schießen, aber wer die Jäger für ihr Tun kritisiert, sollte erst einmal über das ein oder andere nachdenken.
    Doch nun zum Muffelwild.
Muffelwild
    Mufflons gehören zur Gattung der Schafe, weshalb man wie bei den Hausschafen die Kleinen Lämmer, die Weibchen Schafe und die Männchen Widder nennt. Die Gattung Schafe wiederum zählt, wie beispielsweise auch Ziegen, Steinböcke und Rinder, zur Familie der Boviden (Hornträger). Boviden behalten ihren Kopfschmuck zeitlebens, im Unterschied zu den Cerviden (Geweihträgern), zum Beispiel Rotwild, die ihn jedes Frühjahr abwerfen. Beiden gemein ist, dass sich das Horn oder Geweih über einem Knochenzapfen bildet, bei Boviden allerdings wächst über diesem Knochenzapfen langsam, aber stetig ein hohler, leicht elastischer Überzug aus Außenhaut, während das Geweih eine massive Knochensubstanz ist. Dass Geweihe jedes Jahr abgeworfen werden, liegt vermutlich genau an diesem Unterschied: Knochen sind anfälliger für Brüche und Abnutzung als das vergleichsweise nachgiebige Horn.
    In der Regel tragen beim Muffelwild nur die Widder ein Gehörn, ab und zu kann man allerdings Weibchen mit ganz kleinen Spießern sehen. Während wie so oft in der Tierwelt die Schafe eher unscheinbar sind, sind die Böcke sehr schön: Ihr glattes Haar ist fuchsrotbraun, und meist haben sie einen weißen Sattelfleck. Dazu kommt das imposante, schneckenförmig eingedrehte und bis zu über achtzig Zentimeter lange Gehörn.
    Viele Deutsche kennen Muffelwild nur aus dem Tierpark oder dem Gehege eines Wildparks und wissen nicht, dass es in Deutschland in freier Wildbahn vorkommt. Tatsächlich sind Mufflons sogenannte Neozoen (griech. für »Neutier«): ursprünglich hier nicht heimische Tiere. Ihre eigentliche Heimat ist Korsika und Sardinien, wo sie insehr bergigem und felsigem Gelände leben. Erst vor etwa zweihundert Jahren wurden die ersten Mufflons als Park- und Jagdwild nach Mitteleuropa gebracht. Deutschland »importierte« die ersten Exemplare sogar erst vor knapp hundert Jahren, wo sie in bestimmten Revieren oder Landschaftstypen prächtig gediehen. Was man damals noch nicht wusste: Die Aussetzung von Neozoen ist immer bedenklich, denn ein Fehlen natürlicher Fressfeinde kann zu ihrer ungehemmten Ausbreitung führen, wodurch sie zu einer regelrechten Plage werden. Außerdem gefährden sie unter Umständen einheimische Pflanzenarten oder verdrängen einheimische Tierarten und besetzen deren Lebensräume – manchmal auch beides.
    Die meisten einheimischen Wildtierarten Deutschlands sind sehr robust und machen sich wenig aus der Gegenwart von Mufflons. Rotwild und Wildschweine zum Beispiel lassen sich von ihnen kaum stören. Wer hingegen sehr unter dem Muffelwild leidet, ist das Rehwild. Zum einen mag es den Schafgeruch nicht. Man wird auf einer Wiese, auf der eine große Herde von Hausschafen gegrast und ihren Kot hinterlassen hat, lange keine Rehe finden. Ähnlich ist es im Wald. Wo viel Muffelwild ist, gibt es so gut wie keine Rehe. Zum anderen sind Mufflons Nahrungskonkurrenten. Und da sie meist massiv auftreten, ziehen sich die Rehe, die zwar standorttreu sind, aber innerhalb ihres Heimatgebiets in der Regel als Einzelgänger leben – nur im Winter schließen sie sich zu kleinen Gruppen zusammen –, zurück und überlassen dem Muffelwild das Feld, besser gesagt:

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