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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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bequeme Sitzposition halb neben, halb hinter dem Busch, sodass ich freien Blick auf den Wechsel hatte. Cleo, die ich an die kurze Leine genommen hatte, vibrierte am ganzen Körper und reckte ständig die Nase, da sie das Wild schon witterte. Und dann warteten wir.
    Nach geraumer Zeit hörte ich das Klappern von Hufen auf Schieferplatten und das Blöken von Lämmern. Cleo spitzte aufgeregt die Ohren.
    »Gleich ist es so weit«, wisperte ich ihr zu.
    Und dann kamen sie. Voran das Leittier. Leittier ist immer ein »führendes« Altschaf: ein älteres Weibchen mit Nachwuchs; verliert es den Nachwuchs, verliert es auch automatisch seine Funktion als Leittier. Mit seinen großen, weit hervorstehenden Augen mit der für Schafe und Ziegen charakteristischen waagerechten Längspupille äugte es aufmerksam über den Waldweg und die Lichtung, bevor es sich ganz aus der Dickung wagte. Ihm folgten zunächstsein Junges, dann andere Mutterschafe mit ihren Lämmern, darauf nicht führende Schafe – mittlerweile eine Riesenherde – und zum Schluss schließlich einige Widder. Viele Widder, gerade die älteren, ziehen in Junggesellen-, besser: Altherrenclubs ihres Weges und stoßen nur zur Paarungszeit zum Rudel. Dann wird allerdings sehr vehement um die Weibchen gekämpft, indem sie mit Anlauf ihre Schnecken – ein anderes Wort für ihr Gehörn – gegeneinanderrammen. Und zwar so oft, bis einer aufgibt.
    Fasziniert beobachtete ich diese grazilen Tiere, die sich in dem schwierigen Berggelände so geschickt wie Gämsen oder Steinböcke bewegten. Kraftvoll und doch mit Leichtigkeit und Eleganz zogen um die sechzig Mufflons den steilen Hang hoch. Die ostthüringische Landschaft war aber auch perfekt für Muffelwild, da sie in ihrer Beschaffenheit sehr deren korsischer und sardischer Urheimat ähnelte. Am Rand der Lichtung begannen einige Tiere zu äsen, während andere die Umgebung im Auge behielten.
    Plötzlich bemerkte ein Altschaf mich und Cleo, stieß einen pfeifähnlichen Warnlaut aus, und das Rudel stob davon. Sekunden später war es, als wären sie nie dagewesen.
    Cleo war völlig aus dem Häuschen, und es kostete mich einige Mühe, sie zu beruhigen. Sie wollte nichts lieber, als den Schafen hinterherjagen. Ein Urinstinkt, ein Erbe ihrer Wolfsvorfahren. Muffelwild ist für Wölfe eine leichtere Beute als zum Beispiel ein Reh, da ein Reh bis zum bitteren Ende gehetzt werden muss, während sich Mufflons irgendwann den Wölfen stellen. In Gebieten, in denen nun wieder Wölfe heimisch sind, wie zum Beispiel in der Muskauer Heide in der Lausitz, ist das Muffelwild mittlerweile völlig verschwunden.
Wanderalltag
    Mit der Zeit trat eine gewisse Gleichmäßigkeit ein: Zelt aufbauen, Zelt abbauen, mal eine Übernachtung in einer Pension.
    »Für den Hund müssen wir aber fünf Euro berechnen.«
    »Für was denn?«
    »Weil das Zimmer danach unbedingt eine Sonderreinigung braucht.«
    »Der haart nicht, der ist völlig stubenrein und riecht auch nicht – da rieche ich vielleicht noch ein bisschen strenger als der Hund.«
    »Mag sein. Macht trotzdem fünf Euro für den Hund.«
    Letztendlich bezahlte ich, blieb mir ja nichts anderes übrig. Später, im Harz, gab es in einem Hotel sogar eine Hundeetage, auf der zwei Zimmer für Gäste mit Hund reserviert waren. Die restlichen Stockwerke waren den Allergikern zuliebe für Hunde tabu.
    Ich merkte schon bald, dass ich durch das Wandern Gewicht verlor, und auch Cleos Körper veränderte sich. Am Anfang hatte sie noch ein bisschen was Weiches, Welpenhaftes, aber mit der Zeit bekam sie eine richtig muskulöse Brust, was mir zunächst gar nicht so auffiel. Bis sie eines Morgens pudelnass aus einem Bach kam und ich dachte: Was hat denn der Hund da überall für Beulen am Körper? Dabei waren das alles Muskeln! Mit nassem Fell wirkte sie auf einmal so richtig definiert, wie ein Bodybuilder.
     
    Seit Beginn unserer Wanderung waren Cleo und ich nur durch wenige, kleine Dörfer gekommen, die zudem oft recht verlassen wirkten. »Ja, hier ist nichts los im Dorf«, hörte ich immer wieder, »Sie sind heute der Zweite, denich sehe.« Und: »Die Kinder sind weg, die leben jetzt in …, weil es hier keine Arbeit gibt.« Das allerdings ist keine Erscheinung des Grenzgebiets. Wenn ich, um nur ein Beispiel zu nennen, durch die Eifel wandern würde, würden die alten Leute genau dasselbe erzählen.
    Da mich aber die Menschen und ihre Geschichte oder Geschichten am Grünen Band interessierten, schaute ich über

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