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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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den Wald.
     
    Die Reviere von Hans und Grit, die zu DDR -Zeiten wie gesagt Staatsjagdreviere waren, in denen man das Wild in übergroßen Beständen hegte, um den Parteigenossen undden Staatsgästen genug bieten zu können, weisen noch heute die höchste Muffelwilddichte in ganz Deutschland auf: geschätzte fünf Stück auf einen Quadratkilometer. Das klingt nach nicht viel, ist aber nur die durchschnittliche Zahl. Muffelwild ist ein Herdentier und lebt naturgemäß in Rudeln. Ein Rudel kann hier durchaus dreißig bis vierzig Tiere haben, es sind sogar schon welche mit bis zu 120 Tieren beobachtet worden, erzählte mir Grit.
    Für den Wald ist ein so hoher Bestand ein echtes Problem. Muffelwild ist nämlich sehr reviertreu, bleibt also innerhalb bestimmter Grenzen, das können Wiesentäler sein, Flussläufe oder dergleichen. Innerhalb eines Reviers wiederum haben sie ihre Lieblingsplätze, und da richten sie als Pflanzenfresser an jungen Bäumen, deren zarte Triebe und weiche Rinde besonders verlockend sind, ziemlich hohen Schaden an.
    Seit dem Mauerfall, seit etwa zwanzig Jahren also, versucht man daher den Bestand durch Jagd auf ein ökologisch sinnvolles Maß zu reduzieren. In erster Linie werden zu einer Bestandsregulierung schwache, kranke oder alte Tiere geschossen, aber auch Jungtiere, um die Fortpflanzung einzudämmen. Grit kennt mindestens fünf verschiedene Arten, Muffellamm mit Knoblauch zuzubereiten. Außerdem können Trophäenjäger auf Mufflons jagen; ein nicht ganz billiges Vergnügen: Für einen kapitalen Widder kassiert der Staat eine Abschussprämie von 2000 Euro.
    Bislang zeitigten die Bemühungen allerdings nur mäßigen Erfolg. Muffelwild ist nämlich alles andere als leicht zu erlegen. Mufflons können wie alle Wildschafe extrem gut äugen. Einen Menschen zum Beispiel sehen sie auf 1000 Meter Entfernung. Insgesamt haben Mufflons eine sehr, sehr feine Wahrnehmung. Darüber hinaus sind sie clever. Normalerweise lebt das Muffelwild in kleinen Gruppen, wo es aber stark bejagt wird, wie hier in Thüringen, bildet es teilweise sehr große Rudel. Wir kennen das von anderen Tierarten: Große Verbände bieten dem einzelnen Tier einen besseren Schutz als kleine. Und sobald ein Schuss fällt, flüchtet das ganze Rudel in dichten Wald oder in die mit Schieferbruch übersäten Hänge und bleibt für Tage von der Bildfläche verschwunden. Was viele vielleicht nicht wissen: Diese Gegend ist wie im Hochgebirge, wie in den Alpen, nur dass die Höhenlage eine andere ist. Die Wege in den Forsthängen sind teilweise derart steil, dass man selbst mit einem Geländewagen in Schwierigkeiten geraten kann. Auch mit Treibjagden versucht man den Bestand zu reduzieren, was jedoch ebenfalls kaum von Erfolg gekrönt ist.
     
    Nun also wollte Grit mir das ostthüringische Muffelwild vorführen. Da sie seit Jahren in ihrem Revier Dienst tat, kannte sie natürlich dessen Gepflogenheiten. Wildtiere generell haben in ihrem Revier oder sogenanntem Heimatgebiet bestimmte Wechsel – sprich: Wanderwege –, Lieblingsplätze, an denen sie nach Futter suchen, feste Paarungsplätze. Sie wissen, wohin sie flüchten müssen, wenn Gefahr droht, wo sie vor kalter Witterung Schutz finden und so weiter. Das ist etwas, was ich mir als Tierfilmer und Fotograf zunutze mache. Ich versuche, mich in das Tier hineinzuversetzen, und überlege mir: Okay, heute ist starker Nordostwind, es ist kalt, es gibt nur noch an bestimmten Stellen im Wald gutes Futter. Wo würdest du heute sein, wo würdest du dich heute aufhalten, wenn du ein Wildschwein wärst. Und meistens finde ich sie dann auch an der Stelle.
    »Hier«, flüsterte Grit nach etwa einer Stunde Pirsch bergauf, bergab durch den Wald und deutete auf einenBusch. »Nimm den als Deckung. Zusammen mit deiner Tarnkleidung sollte das reichen. Und halte die Kamera bereit. Siehst du den Wechsel da unten?«
    Ich folgte ihrem Finger den Hang hinunter und sah einen großen Wechsel aus einer Dickung kommen. Er führte über einen Wanderweg, dann den Abhang hoch, ungefähr dreißig Meter von uns entfernt an einer Lichtung vorbei, bevor er schließlich wieder unter Bäumen verschwand.
    »Mhm«, nickte ich.
    »Ein Stück hinter der Dickung stehen sie häufig. Ich schlage einen großen Bogen und beunruhige sie ein bisschen, gerade so, als wär ich ein Wanderer; dann müssten sie eigentlich ganz langsam an dir vorbeiziehen.«
    Wieder nickte ich, und Grit ging los. Ich baute die Kamera auf und suchte mir eine

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