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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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sehr schön restauriert, aber gehört halt jetzt der Stadt. Den Immobilienhändlern ging es meist gar nicht um das Haus, sondern um den Grund und Boden, auf dem es stand. Dessen Wert konnten die neuen Bundesbürger aber genauso wenig einschätzen. Und so wurde der Oma der Hof samt schönem Waldgrundstück oder das Grundstück am Saale-Stausee abgeschwatzt. Die Notare haben bei alledem schön mitgespielt, weil sie daran gut verdienten. Für Versicherungsvertreter waren die neuen Bundesländer ebenfalls ein lohnendes Feld, das sie ausgiebig beackerten und dabei den Menschen so manch völlig unnütze und überflüssige Versicherung aufquatschten.
    Nicht, dass die DDR -Bürger ungebildet gewesen wären. Frag einen, der zu DDR -Zeiten aufgewachsen ist, über die großen Klassiker, über Maler, Dichter oder Schriftsteller, über Geschichte oder Astronomie, Chemie oder Physik, und er oder sie wird mehr wissen als die meisten Westbürger. Das Problem war, dass keiner mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem vertraut war. Wie auch?! Daher konnte leicht getrickst, übertölpelt oder gar betrogen werden, und das wurde zum Teil schamlos ausgenutzt. Wenn man als »Wessi« das weiß, fällt es einem vielleicht leichter, den Zorn und die Verbitterung so mancher »Ossis« zu verstehen.
    Ich erzählte Grit und Hans im Gegenzug viel über Kanada und Alaska, eine Welt, die die beiden gern mal bereisen würden. Doch ihr kleines Eldorado, das sie sich hier geschaffen und mit dem sie sich ihren Lebenstraum erfüllt hatten, verpflichtete: die vielen Haustiere, die Reviere … Länger als ein paar Tage kann und will man das nicht zurücklassen. Hinzu kam, dass Hans Bürgermeister war, bei der Freiwilligen Feuerwehr und den Jagdhornbläsern. Grit war im Tier- und Naturschutz sehr aktiv, sammelte zum Beispiel jeden Herbst kleine Igel ein, die bei ihr überwintern durften, stellte Anträge gegen die Zerstörung der Biotope von Feuersalamandern, ging mit ihren Dackeln in Schulen und erzählte den Kindern vom Wald und vom Wild. Hans und Grit waren – im positiven Sinn – so richtige Vorzeigeförster und -jäger.
    Nebenbei: Auf unserer Wanderung trafen Cleo und ich sehr viele Biologen, Ornithologen, Landschaftspfleger, Jäger und Förster. Kurios war, dass viele, die aus dem Westen stammten, immer anklingen ließen, dass es Natur- und Tierschutz nur in den alten Bundesländern gegeben habe und die »Ossis« wenig Naturverständnis hätten. In ihrem DDR -Bild – wie in dem vieler Westdeutscher – ist für nichts anderes als Militär, Stasi, Planwirtschaft, Großflächenagrarwirtschaft und dergleichen Platz. Natürlich gab es das alles. Aber genauso gab es aktiven Natur- und Tierschutz, und zwar von privater wie von staatlicher Seite. Schon 1968 wurde der Naturschutz als Staats- und Bürgeraufgabe in die Verfassung der DDR aufgenommen, und es gab Natur- und Landschaftsschutzgebiete, Naturdenkmäler und »geschützte Parks«. Als ich noch in der DDR lebte, hatte ich die ornithologische Monatszeitschrift Der Falke abonniert. Billiger Druck, grauenhaft schlechte Bilder, aber interessante Abhandlungen über alles, was selten war, auch in der DDR , und geschützt wurde. Außerdem gab es ein Magazin für Terrarien- und Reptilienfreunde. Ehemalige DDR -Bürger sind dementsprechend sauer, dass die Westbürger so tun, als hätten sie den Naturschutz erfunden und würden ihn schon seit Ewigkeiten praktizieren. Dabei wurden im Westen bis in die jüngste VergangenheitBäche begradigt, Wiesen und Feuchtbiotope trockengelegt, Flüsse in Korsetts gezwängt, jeder Mist reingepumpt … Bei Leverkusen, so hieß es lange Zeit, kannst du im Rhein deine Filme entwickeln.
    Grit und Hans waren Menschen, zu denen ich sofort einen Draht hatte, eine Seelenverwandtschaft spürte. Je länger wir uns unterhielten, umso mehr Gemeinsamkeiten entdeckten wir: die Liebe zur Natur und zu den Tieren, der Wunsch nach Unabhängigkeit, das Bestreben, ein möglichst autarkes Leben zu führen. Dann entdeckte ich, der ich eine Schwäche für den Glauben der alten Germanen habe, hinter dem Haus auch noch eine große, aus Holz gehauene Odinsfigur mit einer Midgardschlange.
    Der Abschied fiel uns ziemlich schwer, und wir versprachen, in Kontakt zu bleiben. Tatsächlich haben wir uns seither bereits einige Male gegenseitig besucht.
    Doch bevor Hans und Grit uns weiterziehen ließen, wollte mir Grit unbedingt noch Europäische Mufflons – in der Jägersprache: Muffelwild –

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