Ein deutscher Wandersommer
her, jeder wollte sie besteigen, aber sie war irgendwie auch nicht so recht in Paarungsstimmung. Mir kam es so vor, als hätte sie den Balzplatz nur halbherzig angeflogen – mal gucken, was sich da noch sotut –, ohne echtes Interesse. Dann wurde es richtig hell, Hähne wie Hennen flogen in die Deckung, und der Spuk war vorbei. Tja, das war nun nicht unbedingt das, was ich mir erhofft hatte.
»Lust auf ein bisschen Edgar Wallace?«, fragte Torsten, nachdem wir aus dem Versteck gekrochen waren.
Verständnislos schaute ich ihn an. »Willst du jetzt mit mir alte Schwarz-Weiß-Krimis gucken?«
»Nein«, lachte er, »aber ich kann dir eine Gegend zeigen, in der ›Der Hund von Baskerville‹ hätte gedreht werden können. Das berühmte Schwarze Moor der Rhön.«
»Wieso berühmt?«, wollte ich wissen.
»Es zählt mit seinen gut sechzig Hektar zu den bedeutendsten Hochmooren nicht nur Deutschlands, sondern ganz Mitteleuropas und wird außerdem in der ›Liste der 100 schönsten Geotope Bayerns‹ geführt.«
»Klingt interessant. Allerdings muss ich gestehen, dass ich von Mooren so gut wie nichts weiß. Gerade mal, dass es aus toten Pflanzen besteht«, gestand ich Torsten.
»Damit sind wir auch schon mittendrin. Fangen wir am Anfang an. Durch die Erosion des Firns und massive Bodenbewegungen nach der letzten Eiszeit vor 12000 Jahren entstanden große Hangmulden, die durch Ton oder Lehm schon ziemlich abgedichtet waren. Darin wuchsen – und wachsen bis heute – mehr Pflanzen als verrotteten. Die abgestorbenen Pflanzenteile setzten sich am Boden ab und machten ihn vollkommen dicht. Dadurch wurde das Moor zum Regenmoor, das heißt, es wird nur durch Regen gespeist und hat keine Verbindung zum Grundwasser – zumindest in der Mitte; beim Sumpfgürtel beziehungsweise Niedermoor, der das Hochmoor umgibt, sieht es anders aus. Das Wasser eines Hochmoors hat einen sehr niedrigen p H -Wert und wenig Sauerstoff, was die Zersetzung von Pflanzen hemmt, wodurch sich immer mehr Torf ansammelt und das Moor immer höher wird, ein Hochmoor eben. Das Schwarze Moor beispielsweise hat eine sogenannte Torfmächtigkeit von über sechs Metern. So viel zum Allgemeinen. Charakteristisch für das Schwarze Moor sind die sogenannten Flarken und Kolke, Wasseransammlungen, die teilweise bis zu zwei Meter tief sind und ihre Form und Größe immer wieder ändern. Ein Grund, warum man nicht durch ein Moor laufen sollte. Flarken sind Risse in der Moorvegetation, die durch Bewegungen des Moorkörpers entstehen. Das kannst du dir wie bei einem Gletscher vorstellen, wo sich auch immer wieder Spalten im Eis bilden. Kein anderes Moor in Mitteleuropa hat so viele Flarken wie das Schwarze Moor. Die hiesigen Kolke oder Mooraugen sind ebenfalls etwas Besonderes. Normalerweise liegen sie nämlich in den zentralen Teilen eines Hochmoors, hier aber sind sie am Rand der zentralen Hochfläche. Und das größte ist fast 500 Quadratmeter groß und etwa zweieinhalb Metern tief.«
Um es vorwegzunehmen: Das Schwarze Moor sollte für mich zu dem Highlight der Rhön werden, das ich mir eigentlich vom Birkwild erwartet hatte.
Der Tag war perfekt für ein Moor à la Edgar Wallace. Es regnete und war so neblig, dass man zum Teil nur zehn Meter weit sehen konnte und die vereinzelten Birken, mickrigen Fichten und Krüppelkiefern nur als Schemen wahrnahm. Mir fielen die ganzen alten Geschichten ein, von Menschen, die in einem Moor versunken und nie mehr aufgetaucht waren, von Hinrichtungen, Kult- und Opferstätten. Es war fast schon gruselig – auch wenn das Informationscenter am Rand des Moors die Wirkung ein klein bisschen entzauberte.
Wir liefen über den Rundwanderweg aus Holzbohlen, auf dem man durch das Moor wandern kann, ohne den einzigartigen Mikrokosmos zu sehr zu stören. Dazu gehören Tierarten wie etwa das Birkhuhn, der Baummarder, das Hermelin, die Zwergschnepfe oder der Feuersalamander und gefährdete Pflanzenarten. Eine Besonderheit der Moore ist, dass sich in ihrem Zentrum, der Heimat der anspruchslosen Torfmoose, auch fleischfressende Pflanzen ansiedeln, zum Beispiel das Fettkraut oder der hübsche Rundblättrige Sonnentau. Da Moore in ihrer Mitte einen sehr sauren Boden und saures Wasser haben – was man sogar schmecken kann; als hätte jemand einen Spritzer Zitronensaft zugefügt –, fehlt es an Nährstoffen, beispielsweise Stickstoff, Kalium, Phosphor und all dem, was auch in handelsüblichen Düngemitteln zu finden ist. Für fleischfressende
Weitere Kostenlose Bücher