Ein deutscher Wandersommer
schlecht, denn auf einmal waren da zwei von der Sorte.
»Erstaunlich! Normalerweise lassen die Schafe einen nicht so nah ran«, rief ein Mann verblüfft, der ebenfalls auf die Hunde zumarschierte und den ich erst jetzt bemerkte.
Torsten Kirchner, Gebietsbetreuer der Rhön bei der Wildland Gesellschaft, war für mich der Inbegriff des Wildschutzwartes: Lederhosen, eine derbe Jacke drüber, Käppi auf, Fernglas um den Hals, weil es immer etwas zu schauen und zu beobachten gibt, und immer einen Hund dabei. In dem Fall war es eine Mischung aus Dachs- und Brandlbracke, von der Familie her eng verwandt mit Cleo. Und weil es bei Hunden wie bei uns Menschen ist: Wenn sich Gleichgesinnte treffen, die dieselben Vorlieben und Leidenschaften haben und sich darüber hinaus ähneln, ist man sich in der Regel gleich sympathisch. Die zwei waren bald völlig aus dem Häuschen, jagten über die Wiese und spielten ausgelassen miteinander. Für Cleo war es eine tolle Abwechslung, mal einen ihresgleichen, sprich einen Jagdhund, zu treffen. Wobei Cleo ein Herz für viele Hunde hat und sich immer freut, wenn sie einen sieht, während Schweißhunde aufgrund ihres starken Egos und Selbstbewusstseins normalerweise nicht gern mit anderen Hunden zusammen sind.
Torsten erinnerte mich in seiner Art an Hans und Grit. Solide Typen, handfest, autark, die – und das finde ich das Entscheidende – nicht von irgendwelchen Theorien erzählen, die sie in irgendeinem Institut entdeckt haben oder erforschen, sondern ihr Wissen und ihre Kenntnisse aus der Praxis, aus ihren eigenen Erlebnissen in der Natur beziehen. Und als ich Torsten fragte, ob ich eine Chance hätte, Birkwild – für mich die Hauptattraktion der Rhön – zu sehen, antwortete er: »Klar, ich weiß, wo der Balzplatz von unserem Birkwild ist.«
Früher war Birkwild, das Moore und offene oder mit Birken und Kiefern bestandene Heiden besiedelt, recht häufig; so häufig, dass es sogar als Arme-Leute-Essen auf der Speisekarte vieler Waldarbeiter stand. Heute ist es unter andereminfolge der massiven Umgestaltung der Landschaft, vor allem der Trockenlegung von Feuchtbiotopen, und der Zunahme seiner Feinde eine der seltensten Vogelarten Deutschlands, weshalb es in einigen Alpenregionen, dem Hohen Venn oder eben hier in der Rhön, um nur einige Gebiete zu nennen, Projekte zum Schutz dieser Tiere gibt. Torsten zum Beispiel koordiniert die Anstrengungen, die den Lebensraum des Birkwilds erhalten oder verbessern sollen, hält engen Kontakt zu den Jägern vor Ort, mit denen gemeinsam er die Fressfeinde des Birkwilds – allen voran der Fuchs, aber auch Krähe, Elster und Wildschwein, die die Gelege des Bodenbrüters plündern – bejagt, wertet die Daten zu Fauna und Flora aus, die er während seiner Tätigkeit sammelt, und betreibt Öffentlichkeitsarbeit für die Erhaltung des Birkwilds und anderer seltener Tier- und Pflanzenarten.
Das Birkwild zählt wie das Auer- und das Haselwild zu den Raufußhühnern. Ihren Namen verdanken die Raufußhühner ihren befiederten und mit stiftförmigen Horngebilden versehenen Füßen. Das Birkwild ist ein Bodenbrüter, und die Jungen sind wie fast immer in solchen Fällen Nestflüchter. Nestflüchter haben, sobald sie aus dem Ei schlüpfen (bei Birkwild ist das nach etwa 28 Tagen), die Augen auf, jede Menge Flaum und sind gleich auf den Beinen, laufen los und suchen sich ihre Nahrung selbst. Gefüttert werden die Kleinen nicht. Die Mutter passt nur auf, ob sich Feinde, etwa ein Greifvogel, ein Fuchs oder ein Marder, nähern und gibt ihre Erfahrung und das Wissen, ständig wachsam sein zu müssen, an die Küken weiter. Im Unterschied zu Nestflüchtern werden Nesthocker, wie zum Beispiel Greifvögel, blind und fast nackt geboren und sind bis zum Ausfliegen aus dem Nest darauf angewiesen, von den Eltern mit Nahrung versorgt zu werden.
Küken von Raufußhühnern ernähren sich zunächst hauptsächlich von Insekten, Würmern und Spinnen, um genügend Eiweiß aufzunehmen. Erst später fressen sie wie ihre Eltern vorwiegend pflanzliche Kost: Knospen, Gräser, Samen, Beeren oder Triebe. Diese Eigenheit ist ein weiterer Grund, warum das Birkwild in seinem Bestand bedroht ist.
Unsere Frühlinge sind immer häufiger von langen Schlechtwetterperioden gekennzeichnet – was ich bei meiner Wanderung im wahrsten Sinn des Wortes am eigenen Leib zu spüren bekam –; da verkriechen sich die Beutetiere der Küken oder hängen klamm an einem Ast. Und da die Küken nur
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