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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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Pflanzen kein Problem; sie holen sich ihre »Nährstofftablette« in Form von Insekten.
    Der Torf – das fand ich interessant – roch nur ein bisschen modrig. Ich hatte mir eine Handvoll herausgeholt und das Wasser herausgepresst, um daran zu riechen. Danach hielt ich ihn Cleo unter die Nase, damit sie ebenfalls daran schnuppern konnte, aber sie schnappte sofort danach und fraß ihn. Und er schien ihr auch noch zu schmecken. Na ja, wer Schildkröten frisst!
    Torsten und ich waren, von unseren Hunden abgesehen, weit und breit die Einzigen, aber Torsten erzählte mir, dass im Sommer bei schönem Wetter hier der Bär steppte.
     
    Cleo und ich hatten die Nase gründlich voll von Regen und Kälte, von klammen Nächten im Zelt, und so machte ich mich auf die Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit im Trockenen. Als ich in einem kleinen Dorf mitten imNirgendwo die Tür zum Schankraum des etwas heruntergekommen wirkenden Wirtshauses aufstieß, blieb ich erst einmal wie angewurzelt stehen. Es war, als wäre ich in einem Ludwig-Ganghofer-Film gelandet: Ein alter Kachelofen bullerte vor sich hin, dicke Rauchschwaden hingen in der Luft – das Rauchverbot in Gaststätten schien sich noch nicht bis hierher durchgesprochen zu haben, oder, was wahrscheinlicher war, es kümmerte niemanden. An großen Tischen saßen richtige Kerle, das, was der Bayer »gstandne Mannsbilder« nennen würde, die meisten mit Hut, einige mit Rauschebart, vor sich ein Bier und einen Schnaps, und spielten, wie sollte es anders sein, Karten.
    Und nun stand da also ein langhaariger Fremder mit Indiana-Jones-Hut und Hund in der Tür. Schlagartig wurde es still, und alle Augen richteten sich auf Cleo und mich. Doch schon im nächsten Moment ging es los: »Ja, wo kommt ihr denn her bei dem Sauwetter?«, »Was macht ihr denn hier?« und das obligatorische »Schöner Hund«. Während ich meine tropfnassen Sachen auszog und Cleo sich erst einmal kräftig schüttelte, erzählte ich in Stichpunkten von unserer Wanderung entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze.
    »Du redest aber komisch, wo kommst du denn her?«, fragte einer. Komisch?, dachte ich, wieso komisch, ich rede ganz normales Hochdeutsch.
    »Du wirst es nicht glauben, ich komme aus Thüringen, aber das hört man nicht mehr. Normalerweise ist der dortige Dialekt eine Strafe fürs Leben, gerade der aus der Gegend, aus der ich stamme. Aber ich bin ein paar Jahre zur See gefahren und lebe jetzt schon seit vielen Jahren in der Eifel, da hat er sich weggeschliffen.«
    »Aus Thüringen kommst?«, fragte ein anderer. »Mit Thüringen hast du doch Erfahrungen, Schorsch?!«, wandteer sich an einen dritten Mann, der daraufhin etwas vor sich hin murmelte. »Erzähl doch mal!«
    »Naa, keine Lust, schon dreißig Mal erzählt«, erwiderte jener Schorsch unwirsch.
    Keiner insistierte, und so suchte ich mir einen Platz, bestellte zu essen und zu trinken. Nach einer Weile gab einer der Männer eine Runde Schnaps aus, die nächste ging auf meine Rechnung, und schon waren wir mitten im Gespräch. Die anfängliche Reserviertheit mir gegenüber legte sich schnell, als ich erzählte, dass ich gelernter Förster und Jäger bin. Das wirkte wie immer. Ein Jäger und Förster? Aha, also einer von uns, kein eingebildeter Schnösel aus der Stadt.
    Da mir die Bemerkung vom Anfang – »Mit Thüringen hast du doch Erfahrungen, Schorsch?!« – nicht aus dem Kopf ging und ich ja auf der Suche nicht nur nach Natur- oder Tier-, sondern auch Grenzgeschichten war, hakte ich nach. Und das war die Geschichte, die sie mir dann erzählten: 1961, kurz nachdem die Grenze abgeriegelt wurde – bis dahin war sie »nur« Sperrgebiet, teilweise zwar schon mit Stacheldrahtzaun gesichert, aber noch ohne Minen, Selbstschussanlagen und so weiter –, saßen Schorsch und die anderen abends auch schon in dieser Wirtschaft und zechten. Eines Tages unterhielten sie sich zu fortgeschrittener Stunde über die Grenze, und einer schimpfte: »Scheißgrenze! Mensch, da drüben, das Bier war so gut.«
    »Ja, ist eine Schande. Und der Schnaps war auch nicht schlecht, der Wurzelpeter aus Thüringen.«
    Und irgendwann sagte Schorsch: »Ich geh da jetzt rüber und hol Bier.«
    »Das traust du dich nicht.«
    »Wetten, dass ich das mach? Um eine Flasche Schnaps!«, konterte Schorsch, schnappte sich seinen Rucksack undzog los. Die Leute kannten sich in der Gegend natürlich aus, Schorsch besonders, da er Waldarbeiter war. Er kletterte über den Stacheldraht,

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