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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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direkten Grenzgebiet war erstaunlicherweise nicht mal ein Auseinanderdriften erkennbargewesen, und die meisten Menschen waren, wenn überhaupt verbittert, dann wegen der Jahre der Trennung, nicht wegen der Wiedervereinigung.
Die Rhumequelle
    Meine erste Station im Harz war die Rhumequelle – von der ich offen gestanden erst erfuhr, als ich über sie stolperte. Am Südwestrand des Harzes führte mich mein Weg an einen kleinen Waldsee. Wären da nicht ein Rundwanderweg mit Aussichtsplattform und Informationstafeln sowie ein Kiosk gewesen, hätte das ein richtig romantisches, idyllisches Plätzchen sein können.
    »Der Weiher muss was Besonderes sein«, sagte ich zu Cleo, während ich auf eine der Tafeln zusteuerte. »Guck mal, Cleo, auf den ganzen Fotos hier ist das Wasser total klar. Entweder wurde da irgendwie getrickst, oder es ist nur jetzt so trüb, weil es die letzten Wochen so stark geregnet hat. Hoppla! Hör mal, Cleo, hier steht, dass die Rhumequelle die drittgrößte Süßwasserquelle Europas ist. Hättest du das gedacht? Ich hätte da eher auf Norwegen oder Island getippt, aber bestimmt nicht auf den Harz.«
    Aus dem Hauptquelltopf von rund zwanzig Meter Durchmesser in knapp zehn Metern Tiefe und zahlreichen Nebenquellen fließen im Durchschnitt 2000 Liter. Pro Sekunde! Das würde reichen, um jeden Einwohner Deutschlands täglich mit zwei Litern Quellwasser zu versorgen. In niederschlagsreichen Zeiten steigt die sogenannte Quellschüttung sogar auf 5900 Liter! Jetzt konnte ich mir erklären, warum das Wasser in der Mitte des Weihers leicht wallte. Die Quelle hat Sommer wie Winter eine Temperatur von konstanten acht bis neun Grad Celsius. Das sprichtschon dafür, dass das Wasser aus großer Tiefe kommt. Und tatsächlich hat man festgestellt, dass nur etwa vier Prozent des Quellwassers aus oberirdischem Einzugsgebiet stammen, der Rest kommt aus unterirdischen Zuflüssen des großen Gipskarstgebiets zwischen Rhumequelle und südlichem Harz. Die Rhumequelle ist quasi das »Überlaufventil« eines riesigen unterirdischen Wasserspeichers.
    Seit jeher sind Quellen mystische Orte. Sie wurden als Tore in jenseitige Welten gesehen und symbolisierten Fruchtbarkeit und neues Leben. Daher wurden an ihnen Götter und Geister verehrt. Auch die Rhumequelle war eine Opfer- und Kultstätte. Die ältesten Funde, Beile und Keramik, stammen aus der Jungsteinzeit, sind also 4000 bis 7000 Jahre alt.
    »Mensch, Cleo, das klingt alles total spannend. Ich muss da unbedingt tauchen. Aber in so kaltem Wasser bestimmt nicht nur mit Badehose.«
    Also marschierten wir zurück nach Rhumspringe in der Hoffnung, dort einen Taucheranzug auftreiben zu können – in einem gerade mal 2000 Einwohner zählenden Ort! Aber man braucht halt einfach ab und zu Glück, denn nach einigem Herumfragen wurde ich an einen Berufstaucher verwiesen.
    »Tauchen? In der Rhumequelle?«, fragte der. »Das muss beantragt werden. Denn da muss für die Zeit die Wasserversorgung der Umgebung unterbrochen werden. Wegen der Keime und so.«
    »Was?«, fragte ich ungläubig. »Und was ist mit den Tieren, die im und um den Weiher leben? Und das Wasser geht doch bestimmt nicht direkt in die Wasserleitungen der Häuser, sondern wird vorher gereinigt. Aus zig anderen Seen in Deutschland, die sogar Badeseen sind und auf denen Schiffe fahren, wird Trinkwasser gewonnen!«
    Ein Schulterzucken war die ganze Antwort.
    Vielleicht, so denke ich jetzt, lag es daran, dass die Rhumequelle nur wenige Meter tief ist. Jedenfalls fügte ich mich in die niedersächsische Bürokratie, deren Amtsschimmel aber erstaunlich schnell galoppierte, denn innerhalb kürzester Zeit hatte ich die Genehmigung. Dass ich für das ZDF und National Geographic drehte, war möglicherweise das ausschlaggebende Argument, dass ich die Taucherlaubnis überhaupt bekam.
    Als ich in den Neoprenanzug schlüpfte, reagierte Cleo ziemlich irritiert, weil das Zeug immer etwas streng riecht. Dann stülpte ich auch noch die Kopfhaube über. Und das gefiel ihr überhaupt nicht. Ich hatte das schon einmal erlebt. Als Birgit und unsere Söhne sich für den Karneval verkleideten und Birgit mit einer schwarzen Perücke auf dem Kopf – sie hat eigentlich rotes Haar – ins Wohnzimmer kam, wurde sie von Cleo regelrecht verbellt. Als ich schließlich ins Wasser stieg, geriet Cleo völlig aus dem Häuschen. Sie bellte wie verrückt, lief ständig am Ufer auf und ab. Das Gewalle in der Mitte des Wassers war ihr ganz und gar nicht

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