Ein deutscher Wandersommer
Verlierer. Wird der Wanderfalke überleben können? Wird es in zwanzig Jahren noch Birkwild geben, oder zählt es zu denVerlierern? Was machen wir mit den großen Kulturlandschaften, in denen so viele Wildschweine leben, die sich immer mehr der modernen Landwirtschaft anpassen und zum echten Problem werden? Wird man Rotwild irgendwann nur noch in wenigen Großgehegen und Nationalparks dulden und überall anders eliminieren, weil es mit der Forstwirtschaft kollidiert? Fragen über Fragen, die mir zeigten, dass sich Bruder Rolf über sehr vieles Gedanken macht.
Als ich mich von ihm verabschiedete, stieß er mich leicht an und sagte fast im Flüsterton, obwohl weit und breit um uns niemand zu sehen war: »Wissen Sie was? Eigentlich wollte ich wie Sie Förster werden.«
Es klang in keinster Weise bedauernd. Ich konnte ihn mir gut in einem Beruf vorstellen, in dem man viel in der Natur ist. Genauso gut könnte ich ihn mir als Wissenschaftler in irgendeinem Institut vorstellen, wo er sich voller Leidenschaft und mit Inbrunst dem Studium der Botanik widmet. Auch da wäre er wahrscheinlich ein sehr glücklicher Mensch gewesen. Denn das, wonach viele Menschen ihr Leben nach suchen, ein In-sich-Ruhen, eine tiefe Zufriedenheit mit sich und seinem Leben, das schien mir Bruder Rolf gefunden zu haben. Ich denke noch oft an diesen Mann, der mir sehr imponiert hat.
Kein anderes Gebirge Deutschlands ist so geheimnisumwittert, mystisch, sagenbehaftet wie der Harz, wo auf dem Brocken bei Wernigerode das Brockengespenst sein Unwesen treibt und Hexen alljährlich die Walpurgisnacht begehen, ein Schauspiel, zu dem einst Mephisto mit Doktor Faust wanderte. »Ihr Mägdlein, ihr stehet hier grad’ in der Mitten. Ich seh’, ihr kommt alle auf Besen geritten. Seid reinlich bei Tage und säuisch bei Nacht! So habt ihr’s auf Erden am weit’sten gebracht«, lässt Goethe den Teufel sagen. Die volkstümliche Bezeichnung Blocksberg für den Brocken, die mit gut 1140 Metern höchste Erhebung nicht nur des Harzes, sondern ganz Norddeutschlands, leitet sich übrigens von dem Ausdruck »Block« oder »Klotz« für das Hexenwesen her.
Der Ursprung für die Hexensagen und das Brockengespenst liegt höchstwahrscheinlich darin, dass sich die Spitze des Brockens an durchschnittlich 306 Tagen im Jahr in Nebel hüllt und dabei seltene optische Effekte auftreten. Häufig sind sogenannte Halos zu beobachten, Lichteffekte, die durch Reflexion und Brechung von Licht an Eiskristallen entstehen. Das Brockengespenst, das Wanderer über Jahrhunderte in Angst versetzte, entsteht, wenn der Schatten eines Menschen oder Tiers auf eine Nebelwand fällt. Wie in einem Kino wird der Schatten in mehrfacher Vergrößerung auf die Nebelwand projiziert. Da Nebel aber im Gegensatz zu einer Kinoleinwand keine glatteOberfläche hat, entstehen quasi dreidimensionale Bilder, die sich durch das Wallen des Nebels auch noch gespenstisch verändern, obwohl der Mensch oder das Tier sich gar nicht bewegt. Ein Phänomen, das unter anderem von Goethe beschrieben wurde, der den Brocken dreimal bestieg.
Der Harz war für mich immer schon etwas ganz Besonderes. Als Kind durfte ich regelmäßig in ein Ferienlager nach Thale fahren, von wo aus wir zu ebenfalls sagenumwobenen Orten wie dem Hexentanzplatz, der Rosstrappe und der Teufelsmauer wanderten. Ich verbinde mit dem Harz durchweg schöne Erinnerungen, und so erfüllte mich schon seit Beginn der Wanderung eine unheimliche Vorfreude auf diese Region.
Auf der ganzen Länge des Grünen Bandes war der Harz das einzige Gebiet mit, ich nenne es mal Spuren von Ost-West-Konflikt. Bis zur Wende zog der westliche Teil des Harzes Touristen in Massen an. Nahezu jeder Ort im Harz und im Harzvorland war touristisch geprägt. Die Region lebte überwiegend vom Fremdenverkehr, und zwar gut. Nach dem Mauerfall wurde sehr viel Geld in den Fremdenverkehr des östlichen Teils investiert und recht aggressiv um Touristen geworben. Und da im Ostharz nun alles viel moderner und schicker war als im Westharz, zog es immer mehr Urlauber in den sachsen-anhaltinischen Teil. Die Menschen im niedersächsischen Teil, die das Nachsehen haben und nunmehr eher schlecht als recht vom Fremdenverkehr leben, sind deswegen ziemlich sauer. Und so wurde ich oft gefragt: »Haben Sie denn ein Zusammenwachsen erkennen können auf Ihrer Wanderung zwischen Ost und West?« Eine Frage, die sich bis dahin kaum je gestellt hatte, denn im
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