Ein deutscher Wandersommer
Knochen schaden, etwas, was viele Hundebesitzer nicht wissen. Wie auch beim Menschen, ist eine ausgewogene Ernährung das Beste. Andererseits war ich nie jemand, der seine Hunde mit extrem teurem Hundefutter verhätschelte. In unserer Familie bekommen sie ganz herkömmliches Hundefutter und hin und wieder, wenn wir erfolgreich auf Jagd waren, den sogenannten Aufbruch – die Innereien eines ausgeweideten Tieres: den Pansen, die Leber, das Herz oder die abgekochte Lunge.
Zu Besuch bei Bruder Rolf
Obwohl ich Atheist bin, bewegen mich religiöse Rituale, wie zum Beispiel die Fronleichnamsprozessionen, denen Cleo und ich begegnet sind. Auch beeindrucken mich tiefgläubige Menschen, egal welcher Religion sie angehören, weil, wie es scheint, die meisten von ihnen ihren Seelenfrieden gefunden haben.
Religion ist ein Teil unserer Kultur und unserer Menschwerdung. Irgendwann, in grauer Vorzeit, hat der Mensch seine Wünsche, Ängste und Hoffnungen – Glück bei der Jagd oder das Überleben der Sippe in einem harten Winter – an übergreifende Mächte herangetragen, an Mutter Erde etwa, später differenzierter an einzelne Götter, ob nun Freya, Diana oder Asklepios, und schließlich in vielen Kulturen an den einen allmächtigen Gott, mag er nun Jehova, Allah oder eben Gott heißen. Selbst ich kann mich dem nicht ganz entziehen. Wenn ich Monate in der Wildnis unterwegs und den Elementen ausgesetzt bin – nicht unbedingt in Deutschland, aber beispielsweise mitten im Nirgendwo von Alaska –, ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich etwas Übermächtiges um Beistand bitte. An solchen Orten kann ich gefühlsmäßig am besten zu meinen – unseren – Wurzeln zurückkehren. Auch habe ich da manchmal das Empfinden, schon einmal da gewesen zu sein – als Rentierjäger, Buschmann oder Fährtenleser.
Ich glaube, dass dieses, ich nenne es mal Urbedürfnis, an etwas »Höheres« zu glauben, bei Gefahr oder Bedrohung ein mächtiges Wesen um Hilfe zu bitten, ganz tief in uns verwurzelt ist. Und dass, selbst wer sich in einem Leben ohne Glauben und ohne Gott eingerichtet hat, weilalles Entstehen und Geschehen um uns herum rational erklärbar ist, sich dem nicht immer entziehen kann.
Religion muss meines Erachtens Geben und Nehmen bedeuten. Wenn Menschen damit glücklich sind und ihren Frieden finden, dann ist es einfach gut.
Erstaunlich an Religionen finde ich immer wieder, wie sehr sie doch Interpretations- und Auslegungssache sind und wie unterschiedlich sich Menschen ein und derselben Religion verhalten. Einmal standen Cleo und ich vor dem Kölner Dom, nach dem Ulmer Münster und Notre-Dame de la Paix der Elfenbeinküste (!) die dritthöchste Kirche der Welt, und bestaunten beeindruckt die Fassade dieses gewaltigen Bauwerks. Ich dachte, jetzt musst du dir das endlich auch mal von innen angucken. Aber wir waren noch nicht ganz zur Tür rein, da flogen Cleo und ich in hohem Bogen schon wieder raus. Hunde waren in diesem Gotteshaus nicht erwünscht. Na ja, sagte ich mir, die katholische Kirche war noch nie ein großer Freund der Natur, »Mach dir die Erde untertan« und so. Ausnahmen wie der »erste Tierschützer« Franz von Assisi bestätigen die Regel. Sein Gedenktag, der vierte Oktober, ist auch Welttierschutztag. Nun war ich gespannt, ob Cleo bei den Franziskanern des Klosters Hülfensberg auch würde draußen bleiben müssen.
Der Hülfensberg ist der älteste und bedeutendste Wallfahrtsort des Eichsfelds. Die Bedeutung des Namens, bei dem meine Zunge jedes Mal ins Stolpern gerät, erschließt sich, wenn man in dem 1671 erschienenen Buch des Heiligenstädter Jesuiten Johannes Müller liest, in dem es über die Pilger zur Wallfahrtskirche »Christus der Erlöser« heißt: »… ihre Zuflucht dahin zu nehmen und Hülff oder Beystand zu suchen …«
Ein weißhaariger Mann mit gepflegtem Bart, der auf Anhieb einen sehr aufgeschlossenen Eindruck auf mich machte, begrüßte mich und Cleo – »Schöner Hund! Ist das eine Bracke?« – freundlich und fragte, ob ich mir die Anlage ansehen wolle und ob er mich herumführen dürfe. Natürlich wollte ich und durfte er.
»Nehmen Sie den Hund ruhig mit rein«, sagte Bruder Rolf, der mein kurzes Zögern am Eingang zur Wallfahrtskirche bemerkte und sofort richtig deutete, »wir sind Franziskaner, wir mögen Tiere.«
Die Kirche ist wunderschön. Gewölbefresken zeigen den Tod, ähnlich wie in Dürers »Ritter, Tod und Teufel«, mit Schweinerüssel, Ziegenohren und Schafshörnern, den
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