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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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»Was denken Sie denn? Daß er tatsächlich auf Sie geschossen hätte? Inmitten von ein paar hundert Leuten.«
    »Ihr Bauch war es ja nicht«, erinnerte Dr. Sternberg.
    »Aber mein Junge. Wo ist er?«
    Sternberg beschrieb, daß der Mann, den Anna fälschlicherweise für einen alten Trottel halte, einen Wagen vor der Türe stehen hatte. Einen Wagen mit Chauffeur. Und daß er mit Carl, der bei alldem fortgesetzt fröhlich geblieben sei, in den Fond des Wagens gestiegen wäre.
    »Sind sie noch draußen?« fragte Cheng.
    »Nein, der Wagen ist abgefahren«, sagte Sternberg. »Zuvor aber hat der alte Trottel das Fenster heruntergelassen und mir etwas zugerufen, mit dem ich aber nichts anfangen konnte.«
    »Und zwar?«
    »Siebenundvierzigelf«, sagte Dr. Sternberg. Mehr sagte sie nicht. Mehr hatte sie nicht zu sagen.
    Cheng kniff die Augen zusammen und stülpte seine Unterlippe vor: »4711? Das Parfüm?«
    »Kein Parfüm«, wandte Anna Gemini ein, mit einem Mal begreifend, »sondern ein Eau des Cologne. Das ist nur für die Leute dasselbe, die sich nicht auskennen. Smolek aber kennt sich aus.«
    »Smolek also«, wiederholte Cheng. »Na, wie schön. Und Sie wissen also, was er damit meint?«
    »Ja, das tue ich«, antwortete Anna. Ihr Gesicht war eine weiße Wand.
    »Wir müssen die Polizei rufen«, meinte Sternberg.
    »Nein«, sagte Anna. »Gehen Sie nach Hause und vergessen Sie das Ganze.«
    Das war alles andere als eine Empfehlung gewesen. Sondern ein Befehl. Ein Befehl in der Art einer in den Bauch gedrückten Pistole. Sternberg verstand sofort. Sie nickte und beeilte sich, aus dem Gartenbaukino hinauszukommen. Ein Eisbrecher auf rascher Heimfahrt.

22 Aqua Mirabilis
    »Wenn Sie dieses Monstrum mit Brille gehen lassen, warum nicht mich?« beklagte sich Janota, startete aber gleichzeitig den Wagen.
    »Das fällt Ihnen jetzt ein?« wunderte sich Cheng. Immerhin hatte Janota im Foyer des Gartenbaukinos genügend Möglichkeiten gehabt, etwas zu unternehmen. Sich an einen der Securityleute zu wenden. Oder einfach stehenzubleiben, um nach Hilfe zu schreien. Oder mit einem plötzlichen Schritt in das rettende Licht einer der Fernsehkameras zu treten.
    Nichts davon. Vielmehr war der Komponist gleich einem festgewachsenen Schneckenhaus mit seiner potentiellen Mörderin mitgezogen, hatte die Rufe seiner Agentin und auch die eines hohen Kulturbeamten ignoriert und war so dumm gewesen, Geminis Frage, ob er einen Wagen hier in der Nähe stehen habe, zu bejahen.
    War dieser Mann verrückt? War er auf den Geschmack gekommen? Den Geschmack der Todesgefahr, die jedes Kunstschaffen überstrahlte?
    Man saß also in Apostolo Janotas Wagen, einem alten, wirklich alten Jaguar, mehr eine instand gesetzte Dampfmaschine oder restaurierte Pendeluhr. Und erst in dem Moment, da Janota den Zündschlüssel betätigt hatte, war ihm aufgegangen, daß es vielleicht besser wäre, die Nacht in seinen eigenen vier Wänden zu verbringen, umgeben von möglichen Zeitlöchern. Besser, als mit einer moralisierenden Killerin und einem körperbehinderten Detektiv sich auf die Suche nach einem entführten Jugendlichen zu machen. Und es dabei mit jemand aufzunehmen, der für einen kleinen Gott gehalten wurde.
    Aber es war zu spät für eine solche Einsicht. Anna Gemini befahl: »Fahren Sie!«
    »Und wohin, gnädige Frau?«
    »Zu mir nach Hause. Denn auch wenn ich nicht weiß, wo Smolek wohnt, er weiß es von mir sehr wohl. Ich muß erreichbar sein. Nicht nur mittels Handy. Smolek würde nie auf die Idee kommen, mich anzurufen, ohne sicher sein zu können, wo ich mich gerade befinde.«
    Janota wandte ein, daß man auf diese Weise eine Zielscheibe abgeben könne.
    »Das ist der Sinne der Sache«, erklärte Anna und wies Janota an, endlich loszufahren und eine Straße unterhalb der Wotrubakirche anzusteuern.
    Während man nun durch die montägliche Nacht fuhr und sich von der Innenstadt hinüber in den peripheren Südwesten bewegte, drängte Cheng darauf zu erfahren, was es mit dem 4711 auf sich habe.
    »Das ist nicht Ihre Sache«, stellte Anna fest.
    »Stimmt. Ich bin wegen Gude hier. Also gut. Sagen Sie mir, warum der Botschafter, wahrlich kein Ungeheuer, daran glauben mußte.«
    »Nein!«
    »Lassen Sie mich nicht dumm sterben«, bat Cheng. »Entweder Gude oder 4711.«
    »Also gut, 4711«, entschied Anna Gemini, denn sie überlegte, daß es vielleicht von Nutzen sein konnte, wenn Markus Cheng sich auskannte. Wenn er begriff, warum Smolek auf die Idee gekommen war,

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