Ein dickes Fell
Pistolenlauf von Janotas Stirn, als stelle sie ein Fernrohr zurück.
»Ganz einfach«, sagte Cheng. »Wir statten Smolek einen Besuch ab.«
»Haben Sie seine Adresse?«
»Ich dachte, Sie wüßten …«
»Nein«, sagte Anna. »Er zieht es vor, mich an öffentlichen Plätzen zu treffen. Zumeist auf Friedhöfen. Das ist so passend wie geschmacklos. Allerdings kenne ich sein Büro. Er arbeitet im Rathaus. Beziehungsweise im Keller des Rathauses.«
»Bis morgen können wir nicht warten«, behauptete Cheng und erwähnte jene Lokalität namens Adlerhof, in der Smolek offensichtlich Stammgast sei. Gut möglich, daß der Wirt, ein gewisser Herr Stefan, Bescheid wisse, wo man Smolek finden könne.
»Es ist spät«, sagte Anna. »Mein Junge muß ins Bett.«
Und als sei bereits alles gesagt und alles Gesagte ziemlich bedeutungslos, deponierte Anna Gemini nun auch die eigene Waffe in der Handtasche von Schnee und Wüstensand, ließ das Schloß zuschnappen, legte den langen Riemen über eine ihrer knochigen, nackten Schultern und ging auf den Ausgang zu. Janota sprang in die Höhe und folgte ihr. Ein wenig sah es aus, als täte ihm plötzlich leid, nicht getötet worden zu sein. Als suche er nach einer zweiten Chance.
Zuletzt verließ Cheng den Raum, wobei er kurz im Türrahmen innehielt und hinter sich auf die Leinwand schaute. Zu einer wunderbar schwermütigen Musik, inmitten bunten, kalten Mobiliars, wechselten Herr Piccoli und Frau Bardot permanent ihre Plätze und Positionen und bewarfen sich mit französischen Sätzen, welche Cheng nicht verstand. Hingegen verstand er den Ton dieser Sätze, ein Ton, der die zauberische Sinnlosigkeit gesprochener Worte transportierte. Die Schönheit der Bardot hingegen blieb Cheng verborgen. Anna Gemini etwa empfand er als eine sehr viel anziehendere Person. Wie auch jene italienisch anmutende Frau Rubinstein, die aus Chengs verlebter Wohnung ein attraktives Zuhause gemacht hatte. Ja, die Gemini und die Rubinstein waren bei aller Unterschiedlichkeit genau jene Frauen, in die sich Cheng hätte verschauen können. Theoretisch. Praktisch war er entschlossen, diesen Weibern wenigstens erotisch aus dem Weg zu gehen. Aus Prinzip.
Aber was nützen Prinzipien? Anna Gemini hatte gerade bewiesen, wie wenig.
»Wo ist Carl?« fragte Anna. »Wo haben Sie ihn gelassen?«
Cheng sah sich um und hielt Ausschau nach jener Walküre mit Architektenbrille. Doch von der Frau war so wenig zu sehen wie von Carl. Während Cheng in die Masse stierte, beschrieb er die Erscheinung der großgewachsenen, mächtigen Frau, die er gebeten hatte, sich um den Jungen zu kümmern.
»Ihr Name?« fragte Anna. Eine erste Panik tönte. »Haben Sie ihren Namen?«
»Äh … Frau … Frau Dr. Irgendwas. Ach ja, Frau Dr. Sternberg.«
Anna wandte sich mit einer raschen Drehung an Janota und fragte, ob er eine Person mit diesem Namen kennen würde.
»Eine Kritikerin … eine ziemliche Unperson …«
Weiter kam er nicht, da nämlich eben jene Kritikerin mit erhitztem, hochrotem Kopf durch die Türe trat, sich im Stil eines Eisbrechers Platz verschaffte und rasch auf Cheng zuschritt.
»Der Bub, meine Güte, der Bub«, schnaufte sie.
Anna packte die große Frau, schob sie zurück und fragte:
»Wovon reden Sie? Wo ist Carl?«
» Ihr Junge?«
»Jawohl, mein Junge. Sagen Sie endlich, was los ist.«
Dr. Sternberg spuckte die Wörter heraus. Wörter mit erhöhter Temperatur. Welche davon berichteten, wie sie mit Carl dagestanden und sich so freundlich wie unverständlich mit ihm unterhalten habe, als ein älterer Herr aufgetaucht war, um sich als Carls Großvater vorzustellen.
Das sei ihr merkwürdig erschienen, sagte Dr. Sternberg. Immerhin hatte gerade erst »dieser Chinese hier, dieser erklärte Adoptivvater« den Jungen in ihre Obhut gegeben. Eine Obhut, die sie keineswegs bereit gewesen war, sich von einem angeblichen Großvater streitig machen zu lassen. Und genau das habe sie dem Mann auch klarzumachen versucht. Daß er nämlich solange warten müsse, bis der Vater des Jungen zurück sei. Oder noch besser die Mutter.
»Was er nicht akzeptieren wollte«, sagte Dr. Sternberg. »Er hat mir ungeniert eine Pistole in den Bauch gedrückt und angeordnet, daß man jetzt gemeinsam nach draußen gehe.«
»Zu viele Waffen«, kommentierte Janota sein Unbehagen an einer Welt der Exzesse.
»Was hätte ich tun sollen?« klagte Dr. Sternberg.
»Dem alten Trottel die Waffe aus der Hand schlagen«, meinte Anna erregt.
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