Ein dickes Fell
des eigenen Gesichts ausgetauscht zu bekommen, sodaß man dann also mit einer fremden Nase oder fremden Augen durch die Gegend liefe, mit Hundenase und Fischaugen. Die meisten würden wohl auf einer Rettung und Restaurierung ihres natürlichen Gesichtsteils beharren, ganz gleich wie riskant das wäre. Und genau dies galt eben auch für die Gemini-Villa. Es gab Bereiche des Hauses, wo das Alte bloß noch aus seinem Alter bestand und eine völlig Umgestaltung sich aufdrängte, während eben Orte wie das Badezimmer und die Küche oder die hölzerne Verschalung der Vorderfront sowie die Glashausarchitektur der beiden Veranden unbedingt in ihrem historischen Zustand erhalten werden mußten. Das hatte sich Anna Gemini geschworen, ganz gleich, wieviel es sie an Geld und Arbeit und Nerven kosten würde.
Ach ja, das liebe Geld. Über selbiges zu verfügen, war für die Hausbesitzerin Gemini dringender denn je. Und es darf nicht überraschen, daß sie – nachdem nun mal eine Hemmschwelle leichter als erwartet überschritten worden war – in ihrem neuen Job weitermachte und daranging, jene Professionalität, die Smolek ihr von Beginn an zugestanden hatte, auszubauen.
Wenn Anna Gemini im Zuge ihrer anfänglichen Waffenübungen ein geringes Talent für die ganze Schießerei erkannt hatte, so mußte sie andererseits feststellen, im Umgang mit ihren Opfern über einiges an Gewandtheit zu verfügen. Genau wie Smolek es vorausgesagt hatte. Es kam nicht darauf an, eine Kugel in hundert Metern Entfernung zentimetergenau ins Ziel zu setzen. Anna Geminis Opfer waren stets so nahe, daß Anna ihnen in die Augen sehen konnte. Also auch nahe genug, um sie mit großer Sicherheit zu treffen. Die Nähe an sich störte Anna nicht. Es war ihr lieber, jene Menschen, die sie tötete, zuvor kennengelernt zu haben, und wenn auch nur für Sekunden.
Natürlich brauchte Anna Gemini nicht alle paar Wochen irgendwo auf der Welt einen Mord begehen, um eine ausreichende Menge Geld zu verdienen. International tätig wurde sie allerdings tatsächlich. In Wien allein hätte es auch gar nicht so viele Klienten gegeben, die in Frage gekommen wären. Anna Gemini achtete darauf, daß man ihren Namen nicht weitergab wie eines dieser ausgefransten Taschenbücher. So wie natürlich auch Smolek bemüht war, über Anna so wenig wie möglich zu verlautbaren.
Es waren ausschließlich weibliche Kunden, die Anna Gemini engagierten beziehungsweise deren Anwerbung sie akzeptierte. Das ergab sich so. Wobei es nicht reichte, eine Frau zu sein und sich über einen großen, dicken Mann zu ärgern. Andererseits konnte Anna selten sagen, warum sie sich für oder gegen eine bestimmte Kundin entschied. Einige lernte sie persönlich kennen, war aber selten von jemandem angetan. Und bei jenen Aufträgen, die über die Vermittlung Smoleks stattfanden, mußte sie sich ohnehin mit der Charakterisierung des Archivars begnügen. Somit resultierten ihre Entscheidungen meistens aus einem bloßen Gefühl, einer Eingebung, und wohl auch aus einem Instinkt, der die Gefahr dort witterte, wo selbige der altgedienten Torte entsteigen würde.
Daß Anna auch ohne Smolek arbeitete, änderte aber nichts daran, daß sie für alle Zeiten an die Smoleksche Sphäre gebunden blieb. Das war ihr bewußt. Wer auch wollte sich einem kleinen Gott entziehen?
Diese gesamten »Erledigungen« smolekscher und nichtsmolekscher Natur, die Anna vornahm, führten zu einer finanziellen Situation, die es ihr erlaubte, die Renovierung und Erhaltung von Haus und Garten zu sichern und die Kreditraten pünktlich zu begleichen. Sie wußte ihr Leben mit Carl frei von Mangel. Unterließ aber Übertreibungen. Weder kaufte sie einen neuen Wagen, noch hörte sie auf, beim Strom zu sparen – eine alte Krankheit. Immerhin erwarb sie einen Konzertflügel, einen mächtigen, schwarzen Klangkasten, auf dem sie zusammen mit Carl vierhändig spielte, wobei Carl zwischen wildem Gehämmer und dem sorgsamen Anschlagen einzelner Töne die große Palette seiner Leidenschaften bediente.
Dazu kamen die Reisen ins Ausland. Diese Reisen waren Urlaube, und zwar nicht nur als Urlaube getarnt, sondern auch als solche verlebt. Der jeweilige Mord dann nur noch eine gut organisierte, aber letztendlich nebensächliche und zeitlich stark begrenzte Angelegenheit.
Selbstverständlich wurde Carl niemals Zeuge, hielt sich aber stets in der unmittelbaren Nähe auf. Ein Scheitern Annas wäre somit fatal gewesen. Doch war sie überzeugt, mit einer
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