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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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jeden Eventualität fertigzuwerden, ja, mittels weiser Entscheidungen solche Eventualitäten ausschließen zu können. Ihr Selbstbewußtsein in dieser Sache hatte etwas Schwindelerregendes. Die Leichtigkeit, mit der sie an ihre Opfer herantrat, sie in Gespräche und andere Annäherungen verwickelte, sie in eine Ecke oder Nische dirigierte und sodann eine Tötung vornahm, die stets mit einem einzigen Schuß auskam. Es wäre ihr zuwider gewesen, ihre Opfer spielfilmartig zu durchlöchern. Auf gewaltige Blutlachen konnte sie gerne verzichten.
    In die Kirche ging Anna Gemini weiterhin, so wie sie weiterhin mit Vorliebe zum heiligen Franz von Sales betete. Für ihre Opfer aber betete sie nicht. Das wäre zuviel des Guten gewesen. Auch waren ihre Taten kein Thema, welches sie mit ihrem Gott und ihren Heiligen hätte debattieren wollen. Man kann nicht über alles reden, nicht alles erklären. Auch war Anna in der Zwischenzeit überzeugt, das Richtige zu tun. Nur, daß dieses Richtige außerhalb ihres eigentlichen Lebens stand, außerhalb ihrer alltäglichen Gedanken und Handlungen und damit eben auch außerhalb ihrer gewohnten Religiosität.

 
     
     
II Die Sache mit den Skandinaviern
    Ein philosophisches Problem hat die Form:
    »Ich kenne mich nicht aus.«
     
    PHILOSOPHISCHE UNTERSUCHUNGEN, LUDWIG WITTGENSTEIN

6 Ein Mann stirbt auf der Straße
    Er haßte solche Abende. Folglich bedeutete es ein verdammtes Unglück, daß die meisten davon in der verhaßten Richtung abliefen. All diese Empfänge, diese Premieren und Wohltätigkeitsbälle und Ausstellungseröffnungen, diese lächerlichen Besäufnisse von Menschen, die sich auf Kosten ihrer Gastgeber extravagante Räusche antranken. Er haßte diese Abende, und haßte es in erster Linie, zusehen zu müssen, wie sich seine Frau herausputzte, wie sie ewig lang vor dem Spiegel stand und ihren einundfünfzigjährigen, völlig unbeschadeten und in keiner Weise aus den Fugen geratenen Körper in Kleider fügte, die gleich zu welcher Jahreszeit den Charakter lauer Sommernächte besaßen. Man kennt das ja, diese funkelnden Abendkleider, in denen manche Frauen aussehen, als würden sie vom Busen abwärts nur noch aus ihren Beinen bestehen.
    Nun, er hatte keine Wahl. Er gehörte nicht zu den Leuten, deren Fernbleiben von wichtigen Anlässen geradezu als Leistung interpretiert wurde. Er war kein Genie, sondern Botschafter. Norwegischer Botschafter in Dänemark, was wie ein Witz klang. Nachdem er in Chile und Honduras, später dann in der Türkei, in der Schweiz und Belgien sein Land repräsentiert hatte, war er zur eigenen wie allgemeinen Überraschung zum Botschafter in Kopenhagen ernannt worden. Ihm war vorgekommen, man wolle ihn bestrafen, ohne, daß er hätte sagen können, wofür. Vielleicht aber war auch das Gegenteil der Fall. Vielleicht hatte man überlegt, daß jemand, der im weit entfernten Chile seine diplomatische Karriere begonnen und sich immer näher an sein Heimatland herangearbeitet habe, es verdiene, in nächster Nähe seinen beruflichen Ausklang zu finden.
    Doch wie auch immer es nun gemeint gewesen war, für Einar Gude jedenfalls bedeutete es eine Strafe. Diese Dänen behandelten ihn wie einen der ihren, wie einen Bruder, einen Bruder freilich, den man nicht mochte. Ja, den man insgeheim zum Teufel wünschte. Verständlich also, daß Einar Gude gerne an die alten Zeiten dachte, da er noch die Rolle des freundlichen Exoten verkörpert hatte. Eine Rolle, die ihm interessanterweise vor allem in der Schweiz zugestanden worden war.
    Die Schweiz! Was für ein Land?! Eines, in dem auch der Großteil der Eliten ein ruhiges, unauffälliges Leben dem gesellschaftlichen Wahnsinn vorzog. Die Schweizer Jahre waren die besten in Gudes Leben gewesen. Zürich erschien ihm als ein Goldkind in Vergleich zu Kopenhagen.
    Vorbei. Alles war so ziemlich vorbei. Was wenig daran änderte, daß der Rest noch gelebt werden mußte. So ein Rest konnte mitunter beträchtlich sein.
    Nicht, daß Einar Gude lebensmüde gewesen wäre. Er liebte das Leben, die Vorzüge seiner Stellung, den Luxus, den er sich leisten konnte, ohne irgendein augenfälliges Verbrechen begehen zu müssen, liebte seine Liebhabereien, die konventionellen, den Wein und die Zigarren, nicht minder die unkonventionellen, etwa die Pflege seiner fünfhundert Aquariumsfische oder die Freundschaft zu einer Dame namens Nicole, deren erotische Qualifikation für Gude darin bestand, daß sie Schweizerin war. Das war kein Spaß. Das

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