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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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meinte er ernst. Allerdings fühlte er sich mit seinen zweiundsechzig Jahren hin und wieder zu alt für Nicole und für den Wein und die Zigarren. Allein seine Leidenschaft für Fische erschien ihm prädestiniert, die nächsten zwanzig oder dreißig Jahre in einer schonenden, würdevollen und ausdauernden Weise zu durchleben. Weshalb er sich entschlossen hatte, mit dem Ende seiner Berufslaufbahn eine mehrfache Abstinenz zu versuchen und den Wein, die Zigarren und die Schweiz an den Nagel zu hängen.
    Die nächsten paar Jahre jedoch würde alles beim alten bleiben müssen, somit auch das tägliche Gesellschaftstheater, dem seine Gattin weit besser gewachsen schien. Sie war diese typische Mittelpunktsfrau, die aus einer Tonne Charme und einer Tonne Intelligenz bestand, aber nie mehr als sechzig Kilo wog, und zwar mit Schuhen. Sie stellte sich ausnahmslos mit ihrem Schuhwerk auf die Waage, ohne irgendwann einen Grund dafür angegeben zu haben. Sie tat es ganz einfach. Und hätte sie es je vergessen, wäre vielleicht nicht gleich die ganze Welt untergegangen, aber zumindest Skandinavien und verzichtbare Orte wie Flensburg und Lübeck. Doch sie vergaß es nun mal nicht, auch jetzt nicht, da man sich auf einen Empfang in der Königlichen Bibliothek vorbereitete und Magda Gude zu Ende geschminkt auf die Waage stieg, nackt, nackt bis auf die Schuhe, Highheels aus silbernen Plättchen, woraus sich eine Fläche ergab, die an die gleißende Helligkeit einer sonnenbeschienenen Wellblechdeckung erinnerte. Man konnte auch sagen, daß die ganze Magda Gude etwas Gleißendes besaß, als sie da – auf dieser Waage stehend und von ihrem zweifachen Spiegelbild flankiert – verlautbarte: »Achtundfünfzig Kilo.«
    »Das ist eigentlich zuviel«, sagte ihr Mann, sich eine Schleife um sein Smokinghemd bindend, »wenn man bedenkt, was es heute wieder alles zum Essen geben wird. Die Festtafeln anläßlich von Schriftstellergeburtstagen sind immer die schlimmsten. Als bestünde die Förderung dieser Künstler darin, sie zu mästen. Die meisten sind ja wirklich extrem fett. Ist dir das schon einmal aufgefallen? Fette Schriftsteller, wohin du siehst.«
    »Nein, ist mir nicht aufgefallen. Und ich glaube auch nicht, daß du recht hast. Schriftsteller sind wohl kaum fetter als Diplomaten.«
    »Ich weiß, wie sehr du Diplomaten verachtest.«
    »Nur, weil ich sie nicht für die besseren und schlankeren Menschen halte?«
    »Vergiß nicht, von wessen Geld du lebst.«
    »Wie? Und deshalb muß ich unsere armen, hungrigen Autoren verleumden?«
    »Du könntest mir einfach mal recht geben«, schlug der Botschafter als Ehemann vor. »Nur so. Um zu sehen, was daraus entsteht.«
    »Das wäre kindisch, mein Lieber«, sagte Magda, eine geborene Deutsche, die in England aufgewachsen war, ohne je das Englische wirklich angenommen zu haben. Ein Kuckuck im fremden Nest. Nach einigen Jahren als Ärztin hatte sie ihren Mann kennengelernt und war im Zuge zweier Geburten aus ihrem Beruf herausgerutscht wie aus einem dieser Freundeskreise, die über das Erinnerungsvermögen defekter Anrufbeantworter verfügen. Wobei sie nicht wirklich unglücklich gewesen war. Die Medizin war ihr nicht die Welt gewesen. Und schon gar nicht die Kranken, die dazugehören.
    Die Diplomatie allerdings auch nicht. Aber sie hatte das beste daraus gemacht. Wenn sie sich die Frage stellte, wie gut sie mit ihren einundfünfzig Jahren denn eigentlich aussah, brauchte sie nicht extra zum Spiegel zu laufen, sondern bloß eins dieser Boulevardmagazine zur Hand nehmen und nachsehen, wie prima sie trotz miserabler Fotografen und schwachsinniger Kommentare zur Geltung kam. Das war das Nette. Weniger nett fand sie die Betonung ihrer Bildung und Intelligenz in diesen Artikeln, und wie sehr darin ihre Freundschaft zu allen möglichen fetten Schriftstellern herausgestellt wurde. Nicht, daß es sie wirklich störte, allerdings war ihr bewußt, daß man sie verspottete. Die Art nämlich, wie diese Intelligenz Erwähnung fand, hörte sich an, als sei von einem dritten Busen die Rede.
    »Stimmt es?« erkundigte sich der Botschafter, wie man sich erkundigt: Schmeckt es? Bei aller Unliebe gegenüber gewissen abendlichen Verpflichtungen war Gude natürlich durch und durch ein Botschafter, auch im privaten Bereich, auch wenn er zusammen mit seiner ziemlich nackten Frau im Badezimmer stand.
    »Was denn?« fragte Magda, nachdem sie einige Sekunden gewartet hatte, ob da noch etwas nachkommen würde. Sie war wieder

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