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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ihrem Jungen und zusammen mit einer problematischen Handtasche nach draußen gelangen könnte, vernahm sie eine Stimme hinter sich, die ihr zu gelten schien. Sie wandte sich um. Ein junger Mann war herangetreten und bat sie, ihr freundlicherweise zu folgen.
    Anna unterließ es, sich zu erkundigen, was das zu bedeuten habe. Auch wurde sie in keiner Weise nervös. Sie war jemand, der die eigene Nervosität hinauszuzögern verstand, wie etwa den Appetit oder den Schlaf.
    In der Ferne erkannte sie jetzt – in einem abgesperrten Bereich – jene vornehme, langbeinige Person, die sich zusammen mit Carl über Maximilian I. und seine spezielle Physiognomie amüsiert hatte. Von Amüsement war nun natürlich keine Rede mehr. Die Frau stand steif und ernst in einer Runde von Männern, die sich an dieser Stelle die Verantwortung teilten. Die Verantwortung nämlich, später nicht als österreichische Schlafmützen vor der Welt dazustehen.
    Nachdem auch Anna und Carl in einen isolierten Bereich geführt worden waren, trat ein Mann auf sie zu, der sich als ein Kriminalbeamter vorstellte.
    »Frau Gude«, begann er, »hat mir gesagt, Sie seien eine Freundin, und ich solle mich darum kümmern, Sie und Ihren Sohn aus dem Gebäude zu bringen.«
    »Eine Freundin?«
    »So sagte Frau Gude«, erklärte der Polizist und zeigte auf die steife, ernste Frau.
    »Ach wissen Sie«, sagte Anna, »die Dame war so freundlich, mir mit meinem Jungen zu helfen.«
    Der Inspektor betrachtete Carl, registrierte die weiträumigen Bewegungen, den ausufernden Blick, den schräg gestellten Kopf, die gespitzten Lippen, vernahm einzelne befremdliche Laute und meinte nun zu verstehen. Er sagte: »Frau Gude möchte nicht, daß Sie hier drinnen, zusammen mit Ihrem Kind, ewig warten müssen.«
    »Das ist sehr liebenswürdig von ihr.«
    Das fand auch der Polizist und sagte: »Bemerkenswert, daß sie in einer solchen Situation noch die Kraft hat, sich um andere zu kümmern. Eine faszinierende Frau.«
    »Was ist denn überhaupt geschehen?« fragte Anna Gemini.
    »Der Botschafter, Herr Gude, kannten Sie ihn?«
    »Nein, wie ich schon sagte, ich habe die Dame eben erst kennengelernt. Ich wußte nicht einmal ihren Namen.«
    »Ihr Mann, er wurde erschossen.«
    »Um Himmels willen.«
    Mehr sagte Anna nicht. Mehr wäre ihr peinlich gewesen. Peinlich vor Gott, welcher ja vielleicht die Tötung eines Mannes akzeptieren konnte, aber sicher keine wilden Lügen und schon gar keine Scheinheiligkeit.
    Mehr sagte auch der Polizist nicht. Es war nicht sein Job, Details an jemand weiterzugeben, der mit dieser Sache nichts zu tun hatte. Vielmehr bestand sein Job darin, dieser Frau und ihrem Jungen eine unnötige Leibesvisitation zu ersparen. Ohnehin würde es eine saublöde Arbeit werden, ein paar hundert Museumsbesucher zu überprüfen, darunter sicher Leute, die eine solche Behandlung als persönliche Beleidigung auffassen und lautstark protestieren würden. Eine undankbare Aufgabe für die Polizei. Wieviel besser war es da, zwei Unbeteiligte aus dem Gebäude zu geleiten. Und dabei als ein höflicher Mensch auftreten zu dürfen.
    »Soll ich Sie nach Hause fahren lassen?« fragte der Beamte, nachdem man durch das Museumsrestaurant und eine Absperrung nach draußen gelangt war.
    »Aber warum denn?« staunte Anna und erklärte, alles sei in bester Ordnung und sie bedanke sich herzlich »Gut. Dann verlasse ich Sie jetzt.«
    »Könnten Sie bitte dieser Dame …«
    »Frau Gude«, sagte der Polizist.
    »Richten Sie ihr aus, er täte mir so leid für sie.«
    Der Polizist preßte die Lippen zusammen, nickte und ging zurück in das Gebäude.
     
    War Anna Gemini nun doch noch ins Lügen verfallen, indem sie gemeint hatte, es täte ihr leid für Frau Gude, einer Person, die im Moment vielleicht ein klein wenig angespannt sein mochte, aber sicher nicht unglücklich?
    Nun, irgend etwas Passendes hatte Anna zum Abschluß natürlich sagen müssen, das war eine Frage des Anstands. Immerhin war ein Mann gestorben. Und der Tod eines Menschen, gleich welche Hintergründe er besaß, mußte nun mal in einer kondolierenden Weise unterstrichen werden. Auch hatte es eine Art von Gruß an Frau Gude sein sollen, welcher Anna ja niemals wieder zu begegnen gedachte. Und der sie heute zum ersten Mal persönlich über den Weg gelaufen war. Bloß zwei Telefongespräche waren zuvor geführt worden. Und da Anna allein das Aussehen des Botschafters in Erfahrung gebracht hatte, nicht aber das seiner Frau, hatte sie

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