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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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auch nicht wissen können, daß ausgerechnet ihre Auftraggeberin es gewesen war, welche die Freundlichkeit besessen hatte, sich kurz um Carl zu kümmern. Was Anna im Rückblick betrachtet, als überaus passend, ja stimmig empfand. Und als tröstlich.
    Auch Magda Gude war es ähnlich ergangen. Auch sie hatte diesen Akt der Beihilfe als beruhigend empfunden. Wie Heiligenbildchen einen beruhigen.
    Die Sache selbst hatte hingegen aus Zufall und Improvisation bestanden. Dieses spezielle Improvisationstalent von Frauen war schon eine bemerkenswerte Sache. Bevor Männer eine Entscheidung revidierten oder einen Zufall als Chance erkannten, waren sie tot oder bankrott oder machten eine lächerliche Figur. Eigentlich hätte man sich wünschen müssen, daß in Zukunft die Leitung militärischer Auseinandersetzungen weiblichen Personen überlassen bliebe. Nicht, weil dann mit weniger Brutalität zu rechnen war, aber doch mit mehr Esprit. Man stelle sich vor: ein raffinierter, ansprechender Krieg. Ein Krieg wie ein Kostüm, das sitzt. Wie ein Ring, der paßt.
    Die fünfzigtausend Dollar würden also nicht von einer Frauenhand in die andere wandern, sondern über einige komplizierte, aber notwendige Umwege auf Annas monegassischem Konto landen, wo sich das Geld gewissermaßen ausruhen sollte, bevor es einer sinnvollen Verwendung unterzogen werden konnte. Übrigens war es jener Immobilienmakler Clemens Armbruster, der immer stärker die Verwaltung von Annas Finanzen übernommen hatte. Solcherart dauerhaft seine Liebe auslebend. Was ein Aspekt war, den Anna Gemini sich in keiner Weise eingestand. Sie stellte nur fest, daß dieser Mann mit Geld umgehen konnte und daß er nur Fragen stellte, die er auch wirklich stellen mußte.
    Das Smoleksche Prinzip wiederum, den Ermordeten die Ermordung selbst bezahlen zu lassen, besaß derart viel Charme und moralische Kraft, daß Anna Gemini auch bei Aufträgen, die ohne Vermittlung Smoleks zustande kamen, sich daran hielt. Unbedingt daran hielt.
    Der Tod eines Menschen bereitete ihr wie üblich keine Gewissensbisse, obwohl ihr dieser Mann und Botschafter auf den ersten und gleichzeitig letzten Blick nicht unsympathisch gewesen war. Aber wenn sie einmal soweit war, ihre Waffe aus der Handtasche zu ziehen, spielte Sympathie natürlich keine Rolle mehr. Das hätte sie sich dann früher überlegen müssen.

 
     
     
III Orte & Worte
    Wenn man sich den Schmerz des Andern nach dem Vorbild
    des eigenen vorstellen muß, dann ist das keine so leichte Sache: da ich mir nach den Schmerzen, die ich fühle,
    Schmerzen vorstellen soll, die ich nicht fühle.
     
    PHILOSOPHISCHE UNTERSUCHUNGEN, LUDWIG WITTGENSTEIN

8 Inzersdorf und seine Russen
    Der Sommer, der sich in diesem Jahr wie eine getrocknete Frucht gehalten hatte und dieses ganze Europa in eine schwitzende, stöhnende, sich selbst permanent in Wetterdiskussionen und Wetterklagen verstrickende, sensible Land- und Menschenmasse verwandelt hatte, dieser Sommer also mit seinem Flair des Ewigen, war nun vorüber. Die Menschen taten, als sei das ein Wunder, als hätten sie ernsthaft befürchten müssen, um einen kommenden Herbst betrogen zu werden. Beinahe war es so, daß die hysterische Klimadebatte des Sommers sich dadurch fortsetzte, daß das Doch-noch-Erscheinen des Herbstes als ein mysteriöser Umstand erlebt wurde, als eine nicht erwartete Normalität, die somit nicht wirklich normal war, sondern ebenfalls ein untrügliches Zeichen dafür, daß etwas nicht stimmte. Mit der Welt nicht und mit dem Wetter sowieso nicht.
    An einem dieser finsteren Oktobertage, da die Wolken wie ein schwarzes Schaumbad über Wien standen, trat Anna Gemini mit ihrem Sohn durch das kleine, aber massive Tor des Inzersdorfer Friedhofes. Sie trug einen dunklen, knielangen Mantel, schwarze, glatte Stiefel und eine schwarze Strickhaube, unter der sie ihr Haar fest zusammengeschraubt hatte. So wie es sich gehört. Sie mochte es nicht, wenn die Menschen auf geweihter Erde herumliefen wie in Supermärkten oder auf Fußballplätzen. Das war ihr unverständlich, diese Verfreizeitlichung jeglicher Bekleidung, als sei es vollkommen gleichgültig, an welchem Ort man sich gerade aufhielt, als seien ein paar häßliche Leggins geeignet, immer und überall getragen zu werden.
    Auch Carl trug schwarz. Allerdings hatte ihm seine Mutter Mantel und Anzug erspart. Statt dessen schlurfte er in der üblichen überdimensionierten Allwetterausrüstung an den Gräbern vorbei, die Mütze tief ins

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