Ein dickes Fell
Pferden und Popstars und fragte sich, welchen Grund es haben konnte, daß Mädchen dieses Alters zumeist gleichzeitig für Pferde und Popstars schwärmten. Das konnte ja kein Zufall sein. Gar nichts in dieser Welt kam aus purem Zufall nebeneinander zu stehen.
Einen kleinen Moment zermarterte sich Cheng den Kopf: Pferde? Popstars? Mähnen? Naßgeschwitzte Körper? Trübe Blicke?
»Was haben Sie denn?« fragte Frau Rubinstein, als sie den angestrengten Ausdruck ihres Gastes bemerkte.
»Ein schönes Zimmer«, wich Cheng aus. »Sie haben wirklich etwas Nettes aus dieser Wohnung gemacht. Man glaubt es kaum.«
»Danke schön«, sagte Frau Rubinstein, wie man sagt: Küß mich.
Die Toilette ersparte man sich und wechselte hinüber in die Küche, die sich zu Chengs Erstaunen kaum verändert hatte. Bloß, daß sie um einiges sauberer war, ein neuer Herd metallen glänzte und ein orangefarbenes Stück kürbisförmige Designerlampe den Raum sehr viel lebensbejahender erhellte. Alles andere war unverändert, die Anrichte, die Spüle, die türkisen Hängeschränke aus den Sechzigern, der dunkelgelb lackierte Kühlschrank sowie jener kleine, einfache Holztisch, der aussah, als sei er gerade noch seiner Bestimmung, eine Puppenküchenexistenz zu führen, entkommen. Selbst der Abtropfständer war derselbe geblieben, und das war ja fast so gewagt wie die Nutzung eines gebrauchten Teppichbodens oder fremder Socken. Doch wie gesagt, die beinahe unveränderte Küche wirkte nun lange nicht so griesgrämig wie zu Chengs Zeiten. Man konnte sich vorstellen, wie an diesem Ort auch richtig gekocht wurde und nicht bloß Tiefkühlnahrung und Tierfutter aufbereitet wurden.
»Sie sehen«, sagte Frau Rubinstein, sichtlich vergnügt ob der Überraschung, »daß ich es nicht übers Herz gebracht habe, Ihre Küche zu verändern.«
»Na, ein bißchen hübscher sieht sie jetzt schon aus.«
Chengs Bemerkung ignorierend, zeigte Frau Rubinstein auf die Schränke und sprach allen Ernstes von »treuen Gehilfen, die man nicht einfach abservieren könne«. Eine Küche müsse gewachsen sein. Alte Regel. Weshalb diese ganzen neuen Edelstahlküchen den unguten Eindruck von Operationssälen vermitteln würden. Man könne darin nicht kochen, ohne an Skalpelle und Aderklemmen zu denken.
Lena betrachtete mit schokoladigem Mund ihre Mutter, als zweifle sie an deren Verstand.
»Nun, ich werde jetzt gehen«, sagte Cheng, pro forma auf seine Uhr schauend. »Es tut gut, zu sehen, daß nicht alles auf der Welt schlechter wird. Beispielsweise diese Wohnung. Mir kommt vor, als dürfte ich endlich auch dieses Kapitel abschließen. Meine Lerchenfelder Episode.«
»Sie sind uns trotzdem jederzeit willkommen«, sagte Frau Rubinstein.
»Wieso?« fragte ihre Tochter.
Cheng dachte an Robert Mitchum in Die Nacht des Jägers, wie dieser als mordender Prediger die beiden Kinder einer Witwe schikaniert. Nur so ein Gedanke.
»Hören Sie gar nicht hin«, riet Frau Rubinstein.
»Kein Problem«, sagte Cheng und verbeugte sich einarmig. Eine einarmige Verbeugung ist fraglos die hübschere Variante. Zweiarmige Menschen klemmen deshalb gerne einen ihrer Arme hinter den Rücken oder pressen die Hand gegen den Schenkel. Aber das sieht immer ein wenig behindert aus. Nicht so bei Cheng. Logischerweise.
»Ich meine es ernst«, sagte die Frau, nachdem sie Cheng zur Türe gebracht hatte, während Lena in der Küche und bei der Schokolade geblieben war.
»Was denn?«
»Daß wir uns über Ihren Besuch freuen würden. Wie lange werden Sie denn in Wien bleiben?«
»Noch unklar.«
»Ein Auftrag? Sagt man das so?«
»Ja, das sagt man so. Ein Auftrag.«
»Ich notiere Ihnen unsere Telefonnummer«, erklärte Frau Rubinstein und griff hinter der Eingangstüre nach Papier und Kuli. »Wenn Sie Luft und Lust haben, rufen Sie doch an. Ich könnte dann ein Essen vorbereiten. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will Sie nicht belästigen. Ich suche auch keinen Vater für meine Tochter.«
Cheng nahm den Zettel und versicherte, daß ihm so etwas nicht in den Sinn gekommen wäre. Er fühle sich nicht belästigt, sondern geehrt, und werde gerne auf diese Einladung zurückkommen. Zeit finde sich immer, wenn man diese Zeit auch finden wolle. Und das wolle er unbedingt. Obgleich er sich frage, womit er Frau Rubinsteins Freundlichkeit verdiene. Die kleine Lena habe schon recht, wenn sie das wundere.
»Es ist so«, erklärte Frau Rubinstein, »daß ich unsere Wohnung sehr mag. Es ist eine Ruhe in ihr
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