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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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… eine Ruhe, Herr Cheng, die Sie vorbereitet haben.«
    »Meinen Sie?«
    »Ja, das meine ich. Auch wenn man sich das bei einem Detektiv schwer vorstellen kann und eher an Hektik als an Ruhe denkt. Aber jetzt, wo ich Sie kennengelernt habe, weiß ich, daß ich recht habe.«
    »Das ist schön zu hören«, sagte Cheng, der Frau seine Hand reichend, »ich möchte lieber mit Ruhe als mit Hektik verbunden weiden.«
    »Bleiben Sie gesund«, wünschte Frau Rubinstein abschließend. Ein Wunsch, den ihr Cheng gerne erfüllen wollte.
    Die Türe schloß sich, und Cheng ging die Stufen hinunter. Dabei begann er, sich Frau Rubinsteins Äußeres bewußtzumachen und überlegte, daß sie gut fünfzehn Jahre jünger als er selbst sein mochte.
    Jetzt hätte man natürlich wissen müssen, wie alt Cheng war. Aber das war schwer zu sagen. Cheng selbst blieb eine präzise Aussage schuldig. Nicht, daß sein Alter nicht festgestanden wäre. Wenn sich hin und wieder die Notwendigkeit ergab, das Geburtsjahr anzugeben, sprach es Cheng wie im Schlaf aus, ließ sich aber niemals dazu hinreißen, nachzurechnen, ob er denn die Fünfzig bereits erreicht hatte oder nicht. Das ist kein Witz. Sein Alter schwebte über ihm, in spürbarer Nähe, aber doch so weit entfernt, daß auch ein Luftsprung nicht genützt hätte, es zu fassen. Abgesehen davon, daß er keine Luftsprünge zu tätigen pflegte.
    Cheng überlegte, ob man Frau Rubinsteins Aussehen als jüdisch bezeichnen durfte. Aber wie hatte man sich das vorzustellen, ein jüdisches Antlitz? Umso mehr, als auch für Cheng das dezidiert Jüdische nur als bösartige Karikatur bestand. Als eine Karikatur, die ohne Hintergrund auskommen mußte, ohne reales Vorbild, als erläutere man einem Menschen, der noch nie einen Vogel gesehen hat, ausgerechnet an Hand flugunfähiger Emus und Kiwis, wie er sich Vögel vorzustellen habe.
    Nein, wenn sich Cheng schon festlegen wollte, dann hätte er Frau Rubinstein als einen italienischen Typus bezeichnet, obgleich sie recht großgewachsen war und eher athletisch als zierlich. Aber der dunkle Teint, das gekräuselte, schwarze, zeltartig den Kopf überdachende Haar, die schlanke Nase, die Augen von dunkelbraunem Flaschenglas, die Man-Ray-Lippen, überhaupt das Gepflegte und Gemäldehafte dieses Gesichts erschienen ihm als ein Gruß aus Rom. Ein herzlicher Gruß, den man gerne auch ein zweites Mal empfing.
    Nicht, daß Cheng sich eine erotische Verwicklung vorstellen konnte oder wollte. Allein die Existenz der kleinen Lena hielt ihn davon ab. Wie auch das eigene unklare Alter. Seine Einarmigkeit hingegen war kein Thema, für ihn nicht und eigentlich auch nie für die Frauen. Zumindest nicht im negativen Sinn. Da war schon eher von Bedeutung, daß ihm seine Sammlung an Krawattenknoten vollständig erschien.
    Andererseits sprach nichts dagegen, sich von dieser Frau einmal bekochen zu lassen. Auch wenn es kaum noch Frauen gab, die kochen konnten. – Das muß man sagen dürfen. Es hat sich als unnötiger, selbstzerfleischender, brachialer Akt der Emanzipation herausgestellt, mit der Verweigerung der Männerbedienung unsinnigerweise das Kochen verlernt zu haben, als würde ein Unkraut jätender Gärtner zur Sicherheit gleich seinen ganzen Garten in die Luft sprengen. Schade drum.
    Jedenfalls hatte Frau Rubinstein bei der Renovierung von Chengs alter Küche Feingefühl bewiesen. Schon aus diesem Grund war Cheng fest entschlossen, sie demnächst anzurufen. Zudem war er überzeugt, daß der Gude-Fall ihn eine ganze Weile in dieser Stadt festhalten würde.
    Was ihn aber zunächst einmal festhielt, das war der Anblick jener drei silberblauen, kurzbeinigen Kartäuserkatzen, die in einer der bogenförmigen Fensternischen des Treppenhauses kauerten und deren orangefarbene Augen sich in einer synchronen Bewegung Cheng zuwandten. Die drei Tiere waren lang nicht mehr so fett als zu der Zeit, da Cheng sie das letzte Mal gesehen hatte, wenngleich natürlich auch weniger gut genährte Kartäuser aufgeblasen anmuten und in keiner Weise an die mönchisch-regide Lebensweise ihrer Namensgeber denken lassen.
    Wie hatten diese drei Viecher bloß geheißen? Diese schrecklichen Drillinge, die einst Chengs Kater Batman terrorisiert hatten? Etwas Biblisches, soweit sich Cheng erinnern konnte. Aber gab es das, biblische Drillinge? Er wußte es nicht. Und es war ja auch nicht wichtig. Wichtig war vielmehr der Eindruck, den Cheng gewann, indem diese ehemals bis an die Grenze des Verstehbaren

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