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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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gehegten, gepflegten und gefütterten Rassekatzen nun verwahrlost aussahen. Ihr Fell hatte den Glanz polierten Stahls verloren, eines der Augen tränte, ein anderes war von einer Kruste umgeben, ein drittes völlig geschlossen. Auch wirkten die drei lange nicht so erhaben und selbstbewußt, wie das früher der Fall gewesen war, eher eingeschüchtert, nervös, im Zustand dauernden Geducktseins.
    Wie um diese Wahrnehmung bestätigt zu bekommen, vernahm Cheng nun die kräftige, durchdringende Stimme der alten Frau Dussek, die vom obersten Stockwerk her nach ihren »Gfrießern« rief. Das war nun kaum der biblische Name dieser drei Katzen, obgleich selbige mit Sicherheit gemeint waren.
    Cheng konnte nicht genau verstehen, was alles Frau Dussek das Treppenhaus herunterbrüllte, aber freundlich war es wohl kaum gemeint, wenn die alte Dame wissen wollte, welche »Sau« schon wieder »neben’s Kisterl gschissen« habe. Offenkundig hatte sich Frau Dusseks alter Katzenhaß in keiner Weise gelegt, wogegen nichts zu sagen gewesen wäre, wäre nicht ausgerechnet sie es gewesen, die die Lieblinge der erhängten Frau Kremser bei sich aufgenommen hatte. Ein Umstand, der, wie man so sagt, Frau Kremser fraglos im Grabe rotieren ließ.
    Nun, das ging Cheng nichts an. Er hatte ja nur seine alte Wohnung besuchen wollen, was nicht heißen brauchte, sich schon wieder eine Katzen-Geschichte und eine daraus resultierende Katzen-Rettung anzutun.
    Nein! Er schrie es förmlich, wenn auch lautlos.
    Umso schlechter war sein Gewissen, als er jetzt an den drei Kartäusern vorbeiging, ihren Blick spürte, diese Mischung aus Furcht und Hoffnung. Die Furcht, Cheng könne mit der Dussek unter einer Decke stecken, wie die Hoffnung, es handle sich bei ihm um einen von Frau Kremser entsandten Engel.
    Und es ist ja schon einmal gesagt worden, daß Detektive im weitesten Sinn der Familie der Engel angehören.
    Wenn nun Cheng ein solcher war, wollte er es in diesem Moment nicht wahrhaben. Er blieb unnachgiebig, unterließ es, die Katzen mit einer freundlichen Bemerkung zu beschenken oder gar zu streicheln, sondern marschierte vorbei, den Blick starr nach vorn gerichtet, entschlossen, verbissen. Taub für das Gejammer, das die drei nun anstimmten. Wahrscheinlich hatten sie einfach begriffen, mit wem sie es da zu tun hatten. Und daß also Hoffnung angesagt war. Beziehungsweise Gejammer.
    Cheng aber wehrte sich. Noch.
    Kein Engel kann sich auf Dauer seiner eigentlichen Funktion entziehen.

14 Neue Kartäuser
    Als Cheng jenes Wirtshaus betrat, das den Namen Adlerhof trug, erstaunte es ihn, niemals zuvor hier gewesen zu sein. Niemals auch nur davon gehört zu haben. Immerhin lag diese Lokalität keine fünf Minuten von seinem ehemaligen Büro entfernt.
    Nun, das taten natürlich auch andere Restaurants und Kneipen, die er nicht kannte und an deren Fassaden er jahrelang achtlos vorbeigegangen war. Die Gegend war reich gesegnet an Gaststätten. Vergleichbar einem Ort, an dem ständig die Sonne scheint oder es ständig regnet, wovon die Leute ein bißchen komisch werden.
    Freilich muß gesagt werden, daß kaum eins von diesen vielen Etablissements die gleiche unbedingte Aufmerksamkeit und stille Bewunderung verdiente, wie jener Adlerhof sie nun bei Cheng hervorrief. Die anderen Lokale mochten schön oder häßlich sein, dreckig oder sauber, hip oder rustikal, aber im Falle des Adlerhofs lag die Sache tiefer. Dieses Wirtshaus war ein Planet. Und ob ein Planet als hip oder rustikal gelten mußte, war nun mal nicht die Frage. Die Frage bei einem Planeten war immer die: Ist dort Leben denkbar?
    Der ganze Raum besaß den Charakter eines tausendfach, nein, eines millionenfach zusammengelegten, auseinandergebreiteten und wieder zusammengelegten Leintuchs. Eines niemals gewaschenen Gewebes, das aber im Zuge dieses andauernden Zusammengelegt- und Entfaltetwerdens so etwas wie eine Säuberung erfuhr. Eine Säuberung abseits dieser unsäglich weißen Tischtücher, welche die allergrößte kulinarische Scheiße zu überblenden berufen sind. Eine Säuberung dadurch, daß sich der zwangsläufige Staub in ständiger Umverteilung und Neuverteilung befand. Mehr kann man ernsthaft auch nicht verlangen. Alles andere in bezug auf Sauberkeit ist eine Illusion.
    Illusionen aber schienen im Adlerhof nicht zu existieren. Alles sah nach dem aus, was es war, ohne deshalb gleich häßlich zu sein. Der Fernseher über der Ausschank war noch als ein Apparat zu erkennen, welcher das

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