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Ein diebisches Vergnügen

Ein diebisches Vergnügen

Titel: Ein diebisches Vergnügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mayle
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Saint-Germain entlangflanierte, sah er, dass die Frauen ebenfalls zwiespältige Gefühle hegten, was die Wahl ihrer Garderobe betraf. Einige hatten sich noch mit Schal, Mantel und Handschuhen vermummt, während andere, dem von der Seine herüberdriftenden eisigen Wind trotzend, bauchfreie Oberteile und kurze Röcke zur Schau trugen. Doch ungeachtet der Kleidung schien allen eine bestimmte Gangart zu eigen zu sein. Im Lauf der Zeit hatte er den Eindruck gewonnen, dieser »Laufstil« sei das wahre Kennzeichen einer waschechten Pariserin: ein flottes und zugleich stolzes Ausschreiten, den Kopf hoch erhoben, die Handtasche lässig um die Schulter geschlungen und – die entscheidende persönliche Note – die Arme auf eine Weise vor dem Oberkörper verschränkt, die den Busen nicht nur stützte, sondern hervorhob, eine Art soutien-gorge vivant oder »lebender Büstenhalter«. Auf das Angenehmste abgelenkt, versäumte Sam beinahe, in die Straße einzubiegen, die zum Fluss hinunter und zum Musée d’Orsay führte.
    Dort gab es, wie immer, mehr zu sehen, als man an einem Tag zu bewältigen vermochte. Sam hatte beschlossen, sich auf das obere Stockwerk zu beschränken, wo die Impressionisten den Schulterschluss mit ihren Gesinnungsgenossen aus der neoimpressionistischen Bewegung probten. Dennoch vergingen, auch ohne den Skulpturen oder der spektakulären Art-Nouveau-Sammlung die Ehre zu erweisen, mehr als zwei Stunden wie im Fluge, bevor ihm einfiel, einen Blick auf seine Uhr zu werfen. Vor Monet und Manet, Degas und
Renoir mental den Hut ziehend, verließ er das Museum und strebte dem anderen Ufer des Flusses zu, in Richtung Louvre und Lunch.
    Die Franzosen haben ein Talent dafür, Restaurants jedweder Größenordnung aus dem Boden zu stampfen, und erweisen sich als besonders genial, wenn es um die Gestaltung raumgreifender Gourmettempel geht. Beispielsweise war es La Coupole, das 1927 als »größtes Speiselokal in Paris« eröffnet wurde, trotz seiner Weitläufigkeit gelungen, einen menschlichen Maßstab zu bewahren. Das Café Marly war, wenngleich überschaubarer, im Vergleich zu den Ausmaßen der meisten Restaurants noch immer riesig. Doch der Entwurf sah Oasen der Ruhe und Inseln der Intimität vor, sodass man nie das Gefühl hatte, in einer Kantine von der Größe eines Ballsaals zu speisen. Das Herzstück war indes die lange überdachte Terrasse mit Blick auf die Glaspyramide im Innenhof des Louvre, wo Sam nun an einem kleinen Tisch Platz nahm.
    Wenn man nach langer Abwesenheit wieder in Paris weilt, lauert überall die Versuchung, sich mit Leib und Seele in die Welt der lukullischen Genüsse zu stürzen und alles zu probieren, was das Herz begehrt. Man mag es als blanke Gier oder als Folge der erlittenen Entbehrungen bezeichnen, doch die französische Küche ist so vielfältig, verführerisch und kunstvoll präsentiert, dass es eine Schande wäre, auf ein Dutzend erstklassige Austern aus der Bretagne, ein mit Kräutern gewürztes Lamm aus Sisteron und zwei oder drei Käsesorten zu verzichten, bevor man die Nachspeisen in Angriff nimmt. Doch in einem Anfall von Mäßigung und eingedenk der Tatsache, dass das Abendessen noch vor ihm lag, begnügte sich Sam schweren Herzens mit einer bescheidenen Portion Sevruga-Kaviar und eisgekühltem Wodka, während er in aller Ruhe zusah, wie sich die Welt um ihn herum weiterdrehte.

    Beim Kaffee tat er seiner Touristenpflicht Genüge und schrieb seine Tagesration Postkarten: eine an Elena, der er mitteilte, er sei mit der Spurensuche beschäftigt; eine kryptische an Bookman (Das Wetter ist hier. Wünschte, du wärst schön); und eine an Alice, Putzfrau im Chateau Marmont, die nie über die Grenzen von Los Angeles hinausgekommen war, aber ersatzweise durch Sam die weite Welt kennenlernte, wenn er auf Reisen ging. Er ermahnte sich, daran zu denken, einen Miniatur-Eiffelturm für ihre Souvenirsammlung zu kaufen.
    Als die Pariser Sonne versuchsweise die Wolken durchbrach, um den Himmel aufzuhellen, kehrte er dem Gewühl im Louvre den Rücken und wandte sich der strengen Ordnung des Jardin des Tuileries zu; hier legte er eine Pause ein, um den ungehinderten Ausblick auf die verschiedenen Bereiche der Parkanlagen zu genießen, die sich an den Champs-Élysées entlang bis zum Arc de Triomphe erstreckten. Bisher waren die Freuden, die der Tag gebracht hatte, seinen Erwartungen mehr als gerecht geworden. Als er die Place Vendôme erreichte, verspürte er ein Hochgefühl, ausgelöst durch

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