Ein diebisches Vergnügen
mich nichts angehen. Neugierde kann äußerst ungesund sein.« Er nahm ein seidenes Taschentuch aus seiner Brusttasche und betupfte seine Lippen. »Aber da du es erwähnst – was führt dich denn nun nach Paris? Einkäufe? Eine Frau? Eine anständige Mahlzeit nach all den Cheeseburgern?«
Sam berichtete seinem Gegenüber von dem Weinraub und beobachtete ihn dabei genau. Veränderte sich sein Gesichtsausdruck? Der alte Mann schwieg, nickte nur von Zeit zu Zeit mit undurchdringlicher Miene. Selbst auf die unverfänglichsten Fragen reagierte der Meisterdieb mit einem nichtssagenden Lächeln. Eine frustrierende halbe Stunde verging, bevor Sam innerlich bereit war, das Handtuch zu werfen. Als sie aufstanden und sich um Gehen anschickten, machte er einen letzten Versuch, einen Schuss ins Blaue.
»Axel, wir kennen uns seit Langem. Du weißt, dass du mir vertrauen kannst, wenn ich dir verspreche, dich herauszuhalten. Wer ist dein Auftraggeber?«
Schröders Gesicht war der Inbegriff fassungsloser Unschuld. Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Mein lieber Junge, ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Das sagst du doch jedes Mal.«
»Das ist auch wiederum wahr.« Er grinste und klopfte Sam auf die Schulter. »Aber um der alten Zeiten willen verspreche ich dir, mich einmal umzuhören. Ich melde mich, wenn ich etwas Interessantes erfahre.«
Sam beobachtete durch das Fenster, wie Schröder den
Kopf einzog und im Fond eines wartenden Mercedes Platz nahm. Er konnte nur noch erkennen, dass Schröder sein Handy ans Ohr hielt, als die Limousine davonbrauste. Hatte sich der alte Halunke unwissend gestellt? Oder war er heute der Hochstapler, der so tat, als wüsste er etwas, während er in Wahrheit von dem Weinraub gar nichts wusste? Sam hatte ausreichend Zeit, beim Abendessen darüber nachzudenken.
Der letzte Luxus, den er sich an seinem freien Tag gönnte, war ein frühes Abendessen im Cigale Récamier, das er allein zu sich nehmen würde. Ganz im Geiste jenes Bonmots, das er während des Weinseminars in Suze-la-Rousse aufgeschnappt hatte. Es stammte von dem englischen Unternehmer und Ölmagnaten Nubar Gulbenkian, der überzeugt war, die ideale Anzahl der Teilnehmer an einem Abendessen sei zwei: »Der Sommelier und ich.«
In der heutigen, auf Geselligkeit abonnierten Welt ist der Solo-Speisende eine verkannte Größe. Bisweilen wird er sogar zum Gegenstand des Mitleids, da die öffentliche Meinung nur schwer akzeptieren kann, dass jemand in einem überfüllten Restaurant freiwillig allein am Tisch sitzt. Doch für diejenigen, die sich in ihrer eigenen Gesellschaft wohlfühlen, hat das Dinner for one etliche positive Aspekte. Ohne die Ablenkung einer weiblichen oder männlichen Begleitung kann man Speis und Trank die Aufmerksamkeit widmen, die sie verdienen. Das Spitzen der Ohren wird oft mit faszinierenden unbedachten Äußerungen belohnt, die von den Nachbartischen herüberdriften. Und ein scharfsichtiger Beobachter kann das bühnenreife Schauspiel genießen, das von den anderen Gästen geliefert wird, ein wichtiger Bildungsaspekt für jeden, der das sich fortwährend wandelnde Mosaik menschlichen Verhaltens kurzweilig und lehrreich findet.
Das Cigale Récamier, zu Fuß fünf Minuten vom Hotel entfernt, war eine von Sams Lieblingsstationen in Paris. Am Ende der Rue de Sèvres verborgen, einer Sackgasse, besaß es alle Eigenschaften, die er an einem Restaurant schätzte. Es war schlicht, unprätentiös und hochgradig professionell. Die Kellner arbeiteten dort seit Ewigkeiten: Sie hatten ihr Metier von der Pike auf und die Weinliste in- und auswendig gelernt. Die Gäste stellten eine interessante Mischung dar – Sam hatte Staatsminister, Tennisgrößen von internationalem Rang und Filmschauspieler unter den Pariser Stammgästen entdeckt. Noch eindrucksvoller waren jedoch die Soufflés, luftig und köstlich, eine Delikatesse, die auf der Zunge zerging. Wenn man eine Schwäche für Süßes besaß, konnte man den kompletten Hauptgang damit bestreiten.
Sam wurde an einen kleinen Tisch vor der ausladenden Säule geführt, die einen Teil der Raummitte einnahm. Er sah sich einer Reihe von Tischen an einer Wand gegenüber, die überwiegend aus Spiegeln bestand. Auf diese Weise hatte er sowohl das Kommen und Gehen hinter sich als auch die Gäste vor sich im Blick. Eine ideale Position für einen Lokalvoyeur.
Der Kellner brachte ihm ein Glas Chablis und die Speisekarte; dann deutete er auf die Tafel mit den
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