Ein diebisches Vergnügen
das Mittagessen und gute Laune – eine gefährliches Hochgefühl, wenn man sich auf einen Einkaufsbummel im Charvet begab.
Herrenausstatter des Landadels seit mehr als hundertfünfzig Jahren, sprach Charvet Sams Vorliebe für die verhaltene Extravaganz maßgeschneiderter Hemden an. Er genoss nicht nur den Tragekomfort, den Stil und die Passgenauigkeit der Sonderanfertigungen, sondern auch das damit verbundene Ritual; es stellte ein wichtiges Element des Kaufaktes dar: das Stöbern in den Stoffen, das Gespräch über Manschetten, Kragenform und Schnitt, dem jede Eile fremd war, und das sichere Wissen, dass man seinen Wünschen haargenau Rechnung
tragen würde. Und als Dreingabe fanden diese Überlegungen in einem stilvollen Ambiente statt.
Die Räumlichkeiten des Hauses Charvet – diesen Herrenausstatter konnte man kaum als Laden bezeichnen – nahmen mehrere Stockwerke eines imposanten Gebäudes ein, das sich an einer der nobelsten Adressen in Paris befand: 28 Place Vendôme. Kaum hatte Sam einen Fuß über die Schwelle gesetzt, als auch schon eine Gestalt von einem Aussichtspunkt zwischen Krawatten, Schals und Taschentüchern aus Seide herbeieilte, um ihn zu begrüßen. Es war Joseph, der Sam vor einigen Jahren in die verborgenen Feinheiten der Einnadel-Näharbeiten und der echten Perlmuttknöpfe eingeführt hatte. Gemeinsam betraten sie den kleinen Fahrstuhl, der zum Stoffmagazin im zweiten Stock führte, und dort, zwischen Tausenden Ballen Popeline, Sea-Island-Baumwolle, Leinen, Flanell, Batist und Seide verbrachte Sam den Rest des Nachmittags. Jedes der Dutzend Hemden, die er am Ende bestellte, würde ein winziges, in der Innennaht angebrachtes Etikett erhalten, auf dem wie beim Wein der Jahrgang, sprich das Jahr der Herstellung, vermerkt war.
Auf dem Rückweg ins Hotel wandten sich Sams Gedanken dem Mann zu, mit dem er nun verabredet war. Axel Schröder hatte sich jahrelang als Meisterdieb einen Namen gemacht. Gleich ob Schmuck, Gemälde, Inhaberobligationen oder Antiquitäten – er hatte alles, was nicht niet- und nagelfest war, gestohlen – oder vielmehr einen Besitzerwechsel herbeigeführt, wie er es auszudrücken beliebte. Nicht für sich selbst, wie er eilends hinzuzufügen pflegte, da er ein genügsamer Mensch sei, sondern für seine begehrlichen Klienten. Schröder und Sam hatten sich kennengelernt, als sie mit verschiedenen Aspekten der gleichen Arbeit beschäftigt waren. Daraus hatte sich ein gewisses Maß an gegenseitigem
Respekt entwickelt, und der berufliche Ehrenkodex gebot ihnen seither, einen großen Bogen um die Projekte des anderen zu machen. Schröder befand sich im Besitz von gültigen Pässen aus drei verschiedenen Ländern, seine Fingerabdrücke, so argwöhnte Sam, waren bestimmt mithilfe der kosmetischen Chirurgie mehr als ein Mal verändert worden. Er war ein ebenso umsichtiger wie vorsichtiger Mensch.
Schröder wartete in der Bar des Montalembert, ein Glas Champagner auf dem Tisch vor sich. Schlank, mit der Sonnenbräune eines Skifahrers, in einem blassgrauen Nadelstreifenanzug von leicht altmodischem Zuschnitt, das schüttere silberne Haar perfekt frisiert, die Nägel von der unlängst erhaltenen Maniküre glänzend, glich er eher einem Industriekapitän im Ruhestand als einem Urgestein in der Welt der Langfinger.
»Ich freue mich, dich wiederzusehen, du alter Gauner«, sagte Sam, als sie sich mit Handschlag begrüßten.
Schröder lächelte. »Mein lieber Junge, mit Schmeichelei kannst du bei mir nicht landen. Haben sie sich in Los Angeles endlich eines Besseren besonnen und dich hochkant rausgeworfen?« Er winkte den Kellner herbei. »Bitte bringen Sie ein Glas Champagner für meinen Freund. Und setzen Sie es auf seine Rechnung, mit Verlaub.«
Als gut informierter Unterweltler wusste Schröder, dass Sam sein Leben am Rande der Legalität an den Nagel gehängt und die Seiten gewechselt hatte. Natürlich hemmte dieser Sinneswandel den Gesprächsfluss. In den ersten Minuten schien es, als hätten sie sich zu einer unsichtbaren Pokerrunde eingefunden: Sie tauschten Banalitäten aus, während Schröder darauf wartete, dass Levitt seine Karten auf den Tisch legte.
»Das sieht dir gar nicht ähnlich, Axel«, sagte Sam schließlich. »Wir unterhalten uns seit geschlagenen zehn Minuten, und du hast noch nicht gefragt, warum ich hier bin.«
Schröder trank einen Schluck Champagner, bevor er antwortete. »Du kennst mich, Sam. Ich hasse es, mich ungebeten in Dinge einzumischen, die
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