Ein diplomatischer Zwischenfall
Parsons vor, und eins, zwei, drei, ist die Katze aus dem Sack! Denn mittlerweile hat sich einwandfrei herausgestellt, dass in jener Nacht kein Einbrecher für die Tat verantwortlich gewesen sein kann und dass der Mörder im Hause zu suchen ist. Parsons ist unglücklich und ängstlich, aber gleichzeitig erleichtert, dass man das Geheimnis aus ihm herausgelockt hat.
Er hat sein Möglichstes getan, um einen Skandal zu vermeiden. Aber alles hat schließlich seine Grenzen. Inspektor Miller hört sich also Parsons’ Schilderung an, richtet ein paar Fragen an ihn und stellt dann selbst Nachforschungen an. Das Beweismaterial gegen Mr Leverson, das er schließlich sammelt, ist sehr belastend – ungeheuer belastend.
Es stellt sich heraus, dass blutige Fingerabdrücke, die man am Rande einer Truhe im Turmzimmer entdeckt, von Charles Leverson stammen. Von einem Hausmädchen erfährt der Inspektor, dass sie am Morgen nach dem Verbrechen ein mit blutigem Wasser angefülltes Waschbecken in Mr Leversons Zimmer angetroffen hat. Mr Leverson erklärt, er habe sich in den Finger geschnitten, und er hat auch tatsächlich eine kleine Schnittwunde, o ja, aber sie ist so winzig! Seine Manschette ist ausgewaschen, aber man findet Blutflecke an seinem Rockärmel. Er steckt in Geldschwierigkeiten, und durch Sir Reubens Tod erbt er eine ansehnliche Summe. O ja, es sieht schlecht für ihn aus, Mademoiselle.«
Nach einer kleinen Pause fuhr er fort:
»Und doch kommen Sie heute zu mir.«
Lily Margrave zuckte ihre zarten Schultern.
»Aber ich sagte Ihnen doch schon, Monsieur Poirot, Lady Astwell hat mich geschickt.«
»Von selbst wären Sie also nicht gekommen, wie?«
Der kleine Mann blickte sie prüfend an. Das junge Mädchen schwieg.
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
Lily Margrave begann wieder mit ihren Handschuhen zu spielen.
»Es ist ziemlich schwierig für mich, Monsieur Poirot. Ich habe Lady Astwell gegenüber Verpflichtungen. Streng genommen bin ich nur ihre bezahlte Gesellschafterin und Sekretärin, aber sie hat mich mehr wie eine Tochter oder Nichte behandelt. Sie war außerordentlich freundlich zu mir. Und was für Fehler sie auch haben mag, ich möchte nicht den Anschein erwecken, als wolle ich ihre Handlungen kritisieren oder Sie etwa gegen die Übernahme des Falles beeinflussen.«
»Hercule Poirot lässt sich nicht beeinflussen, cela ne se fait pas«, erklärte der kleine Mann mit heiterer Miene. »Wie ich sehe, glauben Sie, dass Lady Astwell Raupen im Kopf hat. Geben Sie es nur zu.«
»Wenn ich mich unbedingt dazu äußern soll – «
»Heraus mit der Sprache, Mademoiselle.«
»Ich finde es einfach töricht von ihr.«
»So, den Eindruck haben Sie also?«
»Ich möchte nichts gegen Lady Astwell sagen – «
»Ich verstehe, Mademoiselle, verstehe das vollkommen«, murmelte Poirot sanft, aber seine Augen forderten sie auf, weiterzusprechen.
»Sie ist wirklich sehr anständig und äußerst gutmütig, aber sie ist nicht – wie soll ich mich nur ausdrücken? Sie ist eben keine gebildete Frau. Sie war ja Schauspielerin, ehe Sir Reuben sie heiratete, und hat alle möglichen Vorurteile und abergläubischen Ideen. Wenn sie sagt, etwas ist so und so, dann muss es so sein, und sie nimmt einfach keine Vernunft an. Der Inspektor war ihr gegenüber nicht sehr taktvoll, und das hat sie auf die Palme gebracht. Sie behauptet, es sei ein Blödsinn, Mr Leverson zu verdächtigen. Solch einen dämlichen, halsstarrigen Fehler könne nur die Polizei machen. Natürlich sei der gute Charles unschuldig.«
»Aber sie hat keine Gründe für ihre Behauptung, wie?«
»Überhaupt keine.«
»Na, so etwas!«
»Ich habe ihr gleich gesagt«, erklärte Lily, »dass es keinen Zweck habe, Ihnen mit leeren Behauptungen zu kommen.«
»Wirklich? Das ist ja interessant.«
Er betrachtete sich Lily Margrave etwas genauer, und seinen scharfen Augen entging nichts. Er sah ihre Eleganz: das geschmackvolle schwarze Schneiderkostüm, die kostbare Crêpe-de-Chine-Bluse mit den feinen Fältchen, den schicken schwarzen Filzhut. Er sah das hübsche Gesicht mit dem etwas spitzen Kinn und die dunkelblauen Augen mit den langen Wimpern. Unmerklich änderte sich seine Einstellung. Er war jetzt interessiert, nicht so sehr an dem Fall wie an dem Mädchen, das ihm gegenübersaß.
»Lady Astwell ist wohl etwas unausgeglichen und neigt vielleicht ein wenig zu Hysterie, nicht wahr, Mademoiselle?«
Lily Margrave nickte eifrig.
»Ja, das ist wahr. Sie ist ja,
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