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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wie gesagt, eine herzensgute Frau, aber es ist unmöglich, sie von etwas zu überzeugen oder ihr Logik beizubringen.«
    »Vielleicht hat sie selbst jemanden in Verdacht«, meinte Poirot, »irgendjemanden, der wahrscheinlich nicht infrage kommt.«
    »Das ist es ja gerade«, rief Lily. »Sie hat plötzlich eine tiefe Abneigung gegen Sir Reubens Sekretär. Der arme Mann! Sie behauptet einfach, sie wisse, dass er es getan hat. Dabei hat es sich ziemlich einwandfrei erwiesen, dass er es überhaupt nicht gewesen sein konnte.«
    »Und sie hat wirklich keine Unterlagen für diese Behauptung?«
    »Selbstverständlich nicht. Bei ihr ist alles ›Intuition‹.«
    Lily Margraves Stimme klang sehr höhnisch.
    »Sie, Mademoiselle«, sagte Poirot lächelnd, »glauben anscheinend nicht an Intuition?«
    »Purer Unsinn!«, erklärte Lily kategorisch.
    Poirot lehnte sich in seinen Sessel zurück.
    »Die Frauen«, murmelte er, »bilden sich ein, dass es eine besondere Waffe ist, die ihnen der liebe Gott gegeben hat. Mal möchten sie mit ihrer Eingebung Recht haben, aber in neun von zehn Fällen irren sie sich.«
    »Ich weiß«, sagte Lily, »aber ich habe Ihnen Lady Astwell doch beschrieben. Sie lässt sich einfach nicht davon abbringen.«
    »Und so kamen Sie, Mademoiselle, weise und diskret zu mir, wie man es Ihnen aufgetragen hatte, und brachten es fertig, mich in die Situation einzuweihen.«
    Etwas im Ton seiner Stimme veranlasste das Mädchen, wachsam aufzublicken.
    »Ich weiß natürlich«, sagte Lily in verständnisvollem Ton, »wie wertvoll Ihre Zeit ist.«
    »Sie schmeicheln mir zu sehr, Mademoiselle«, sagte Poirot, »aber es stimmt allerdings. Im Augenblick habe ich viele wichtige Fälle vorliegen.«
    »Das hatte ich mir bereits gedacht«, sagte Lily und erhob sich. »Ich werde Lady Astwell sagen – «
    Aber Poirot stand nicht auf. Er lehnte sich in den Sessel zurück und sah das Mädchen fest an.
    »Sie scheinen es sehr eilig zu haben, Mademoiselle. Nehmen Sie, bitte, doch noch einen Moment Platz.«
    Er sah sie erröten und dann erblassen. Langsam und unwillig setzte sie sich wieder hin.
    »Sie sind rasch und entschieden, Mademoiselle«, sagte Poirot. »Sie müssen Rücksicht nehmen auf einen alten Mann, der langsam zu einem Entschluss kommt. Sie haben mich falsch verstanden, Mademoiselle, ich habe nicht gesagt, dass ich mich weigere, Lady Astwell aufzusuchen.«
    »Dann wollen Sie also kommen?«
    Ihre Stimme klang nicht gerade begeistert. Sie vermied es, Poirot anzusehen, und blickte zu Boden. Auf diese Weise merkte sie nicht, wie scharf und forschend er sie betrachtete.
    »Bestellen Sie Lady Astwell, Mademoiselle, dass ich ihr ganz zur Verfügung stehe. Ich werde heute Nachmittag in ihrem Hause ›Mon Repos‹ sein.«
    Er erhob sich, und das Mädchen stand ebenfalls auf.
    »Ich – ich werde es ihr sagen. Es ist ja sehr freundlich von Ihnen, dass Sie kommen wollen, Monsieur Poirot, aber ich fürchte nur, Sie werden finden, dass Sie sich vergeblich bemüht haben.«
    »Sehr wahrscheinlich – aber wer weiß?«
    Mit ausgesuchter Höflichkeit begleitete er sie zur Tür und kehrte dann mit gefurchter Stirn und tief in Gedanken versunken in sein Wohnzimmer zurück. Er nickte ein paar Mal vor sich hin. Dann öffnete er die Tür und rief seinen Diener.
    »Mein guter George, packen Sie mir doch, bitte, den kleinen Koffer. Ich fahre heute Nachmittag aufs Land.«
    »Sehr wohl, Sir«, sagte George, ein ausgesprochen englischer Typ: groß, bleich und besonnen.
    »Ein junges Mädchen ist ein sehr interessantes Phänomen, George«, sagte Poirot, während er sich noch einmal in den Sessel fallen ließ und eine winzige Zigarette anzündete. »Besonders, wenn sie Verstand hat. Jemanden um etwas zu bitten und ihn gleichzeitig von der Erfüllung der Bitte abzuhalten, ist eine delikate Operation, die feines Fingerspitzengefühl voraussetzt. Sie war geschickt, die Kleine, o ja, sehr geschickt, aber Hercule Poirot, mein guter George, ist eben von ganz ungewöhnlicher Klugheit.«
    »Das haben Sie, glaube ich, schon einmal erwähnt«, sagte George ziemlich trocken.
    »Es ist nicht der Sekretär, den sie im Auge hat«, murmelte Poirot nachdenklich. »Lady Astwells Anschuldigung gegen ihn erweckt nur ihre Verachtung. Trotz alledem ist sie sehr darauf bedacht, schlafende Hunde ruhen zu lassen. Ich aber, mein guter George, werde sie im Schlafe stören. Ich werde sie aufeinander hetzen. Ein Drama spielt sich ab in ›Mon Repos‹. Ein menschliches

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