Ein diplomatischer Zwischenfall
sehen. Mr Trefusis wollte gerade wieder umkehren, da drang ein Geräusch an sein Ohr, und er entdeckte den kleinen Mann mitten auf der Wendeltreppe, die zum oberen Schlafzimmer führte.
Poirot kroch auf Händen und Knien umher. In der linken Hand hielt er ein Vergrößerungsglas, durch das er eingehend etwas betrachtete, das neben dem Treppenläufer lag.
Während der Sekretär ihn beobachtete, gab er plötzlich einen Grunzlaut von sich und steckte das Vergrößerungsglas in die Tasche. Dann stand er auf und hielt etwas zwischen Zeigefinger und Daumen. Im selben Augenblick wurde er sich anscheinend der Gegenwart des Sekretärs bewusst.
»Aha, Mr Trefusis, ich habe Sie gar nicht kommen hören.«
In diesem Augenblick schien er wie umgewandelt. Ein triumphierendes Frohlocken strahlte ihm aus den Augen. Trefusis starrte ihn überrascht an.
»Was ist denn los, Monsieur Poirot? Sie sehen sehr zufrieden aus.«
Der kleine Mann warf sich in die Brust.
»Das bin ich auch! Endlich habe ich das gefunden, was ich von Anfang an gesucht habe. Hier zwischen Zeigefinger und Daumen halte ich das zur Überführung des Verbrechers allein notwendige Etwas.«
Der Sekretär zog die Augenbrauen hoch: »Dann war es also nicht Charles Leverson?«
»Es war nicht Charles Leverson«, sagte Poirot. »Bis zur Minute wusste ich noch nicht, wer es war. Aber endlich ist alles klar.«
Er stieg die Treppe hinunter und klopfte dem Sekretär auf die Schulter.
»Ich muss sofort nach London fahren. Richten Sie das bitte Lady Astwell von mir aus. Ferner bitte ich darum, dass heute Abend um neun Uhr sich alle hier im Turmzimmer versammeln. Ich werde dann zurück sein und die Wahrheit verkünden. O ja, ich habe allen Grund, zufrieden zu sein.«
Er führte einen fantastischen kleinen Tanz auf und verschwand aus dem Turmzimmer. Trefusis starrte hinter ihm her. Etwas später erschien Poirot in der Bibliothek und erkundigte sich, ob jemand ihm eine kleine Pappschachtel geben könne.
»Leider habe ich so etwas nicht bei mir«, erklärte er, »und ich brauche sie, um etwas sehr Wertvolles hineinzutun.«
Trefusis fand schließlich eine kleine Schachtel in einer der Schubladen, und Poirot schien hoch erfreut darüber.
Er eilte mit seinem Schatzkästlein nach oben. Auf dem Treppenabsatz traf er George, dem er die Schachtel aushändigte.
»Es ist etwas Hochwichtiges darin, mein guter George. Legen Sie es in die zweite Schublade meiner Kommode neben die Juwelenschachtel, die meine Manschettenknöpfe enthält.«
»Sehr wohl, Sir«, sagte George.
»Und gehen Sie äußerst vorsichtig damit um, George. In der Schachtel steckt etwas, das einen Mörder an den Galgen bringt.«
»Was Sie nicht sagen, Sir.«
Poirot eilte wieder nach unten, nahm seinen Hut und raste aus dem Haus.
Seine Rückkehr war nicht so dramatisch. Der treue George ließ ihn auf ausdrücklichen Befehl zur Seitentür herein.
»Sind sie alle im Turmzimmer?«, fragte Poirot.
»Ja, Sir.«
Es folgte eine kurze Unterhaltung im Flüsterton. Dann stieg Poirot mit dem triumphierenden Schritt eines Siegers die Treppe hinauf und betrat das Zimmer, in dem vor kaum vier Wochen der Mord stattgefunden hatte. Er ließ seine Blicke umherschweifen. Ja, sie waren alle da:
Lady Astwell, Victor Astwell, Lily Margrave, der Sekretär und Parsons, der Butler, der sich unschlüssig an der Tür herumdrückte.
»George hat gesagt, Sir, man braucht mich hier«, sagte Parsons, als Poirot erschien. »Ich weiß nicht, ob das richtig ist, Sir.«
»Ganz in Ordnung«, sagte Poirot. »Bleiben Sie, bitte.«
Er ging mitten ins Zimmer.
»Dieser Fall ist von großem Interesse gewesen«, sagte er mit langsamer, bedächtiger Stimme. »Er ist so interessant, weil jeder der Anwesenden Sir Reuben ermordet haben könnte. Wer beerbt ihn? Charles Leverson und Lady Astwell. Wer war zuletzt an jenem Abend bei ihm? Lady Astwell. Wer hatte einen heftigen Streit mit ihm? Wiederum Lady Astwell.«
»Was reden Sie da bloß für einen Unsinn?«, rief Lady Astwell dazwischen. »Ich verstehe das nicht, ich – «
»Aber noch jemand hat sich mit Sir Reuben gezankt«, fuhr Poirot nachdenklich fort. »Noch jemand hat ihn in rasender Wut verlassen. Nehmen wir an, Lady Astwell hat ihren Gatten um Viertel vor zwölf lebend im Turmzimmer zurückgelassen, da blieben noch zehn Minuten, bis Charles Leverson ins Haus kam, zehn Minuten, in denen jemand aus dem zweiten Stock sich hinunterschleichen, die Tat begehen und wieder auf sein Zimmer
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