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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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nehme er die Anschuldigungen der Hyänen gewiss nicht ernst. Er würde sie vom Tisch wischen, ganz sicher.
    Rigoberto kam erschöpft nach Hause, mit seiner Laune war ihm auch der Appetit vergangen. Doch er musste nur das Gesicht von Lucrecia sehen, und er wusste, dass ihn eine weitere schlechte Nachricht erwartete.
    »Was ist?«, fragte er, zog das Jackett aus und hängte es in die Ankleide im Schlafzimmer. Da seine Frau mit der Antwort zögerte, drehte er sich zur ihr und fragte noch einmal: »Eine schlechte Nachricht? Welche, mein Schatz?«
    Ganz blass und mit zitternder Stimme murmelte Lucrecia:
    »Edilberto Torres, stell dir vor.« Ihr entfuhr ein kleiner Schrei, und dann sagte sie: »Er ist ihm in einem Sammeltaxi erschienen. Schon wieder, Rigoberto. Mein Gott, schon wieder!«
    »Wo? Wann?«
    »Im Lima-Chorrillos, Stiefmutter«, erzählte Fonchito seelenruhig und bat sie mit den Augen, die Sache nicht so wichtig zu nehmen. »Ich bin am Paseo de la República eingestiegen, in der Nähe der Plaza Grau. Beim nächsten Halt dann, schon auf der Schnellstraße, ist er zugestiegen.«
    »Er? Derselbe?«, rief sie, trat an ihn heran, untersuchte sein Gesicht. »Bist du dir ganz sicher, Fonchito?«
    »Salü, junger Freund«, grüßte ihn der Herr Edilberto Torres und machte eine seiner üblichen Verbeugungen. »Welch ein Zufall. Dass wir uns ausgerechnet hier treffen. Schön, dich zu sehen, Fonchito.«
    »Mit grauem Jackett und Krawatte und einem roten Pulli«, erklärte der Junge. »Sorgfältig gekämmt und rasiert, überaus freundlich. Natürlich war er es, Stiefmutter. Und diesmal hat er zum Glück nicht geweint.«
    »Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, bist du, scheint mir, ein wenig gewachsen«, sagte Edilberto Torres und betrachtete ihn von oben bis unten. »Nicht nur körperlich. Jetzt hast du einen ruhigeren, festeren Blick. Fast wie ein Erwachsener, Fonchito.«
    »Mein Vater hat mir verboten, mit Ihnen zu sprechen, Señor. Tut mir leid, aber ich muss auf ihn hören.«
    »Warum verboten, hat er dir das gesagt?«, fragte der Herr Torres, und es klang kein bisschen verärgert. Er sah ihn neugierig an, lächelte leise.
    »Mein Vater und meine Stiefmutter glauben, dass Sie der Teufel sind, Señor.«
    Edilberto Torres schien nicht allzu überrascht, der Fahrer allerdings. Er trat kurz auf die Bremse und drehte sich nach den beiden Fahrgäste auf der hinteren Sitzbank um. Als er ihre Gesichter sah, beruhigte er sich. Der Herr Torres lächelte jetzt breit, gab sich amüsiert, aber ohne laut zu lachen.
    »Heutzutage ist alles möglich«, sagte er mit seiner vollkommenen Diktion eines Radiosprechers und einem Achselzucken. »Selbst dass der Teufel durch die Straßen von Lima zieht undsich mit dem Sammeltaxi fortbewegt. Apropos Teufel, Fonchito, ich habe erfahren, dass du prima mit Pater O’Donovan auskommst. Ja, der in Bajo el Puente eine Pfarre hat, wer sonst. Du verstehst dich gut mit ihm, ja?«
    »Er hat dich auf den Arm genommen, Lucrecia, merkst du das nicht?«, sagte Rigoberto. »Das ist doch Unfug, dass er ihm in diesem Sammeltaxi ein weiteres Mal erschienen ist. Und völlig unmöglich, dass er Pepín erwähnt hat. Er macht sich nur lustig über dich. Macht sich lustig über uns, seit die Geschichte begonnen hat, so sieht es aus.«
    »Das würdest du nicht sagen, wenn du sein Gesicht gesehen hättest, Rigoberto. Ich glaube, ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, wann er lügt und wann nicht.«
    »Sie kennen Pater O’Donovan, Señor?«
    »Sonntags gehe ich manchmal zu ihm in die Messe, auch wenn seine Kirche für mich ziemlich weit weg liegt«, antwortete Edilberto Torres. »Aber ich nehme die Strapazen auf mich, weil ich seine Predigten mag. Er ist ein intelligenter, gebildeter Mensch, der für alle spricht, nicht nur für die Gläubigen. Hattest du nicht den Eindruck?«
    »Seine Predigten habe ich nie gehört«, sagte Fonchito. »Aber ja, er schien mir sehr intelligent zu sein. Mit Lebenserfahrung und vor allem Erfahrung, was Religion betrifft.«
    »Du solltest ihn hören, wenn er auf der Kanzel steht«, riet Edilberto Torres. »Vor allem jetzt, wo du dich für spirituelle Dinge interessierst. Er ist eloquent, elegant, und seine Worte sind voller Weisheit. Wahrscheinlich ist er einer der letzten guten Prediger, die die Kirche hat. Denn die Kunst des Predigens, so bedeutend in der Vergangenheit, ist schon seit langem im Niedergang.«
    »Aber er kennt Sie gar nicht, Señor«, sagte Fonchito. »Ich habe Pater

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