Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
O’Donovan von Ihnen erzählt, und er wusste nicht mal, wer Sie sind.«
    »Für ihn bin ich nur ein Gesicht unter den Kirchgängern«, erwiderte Edilberto Torres gelassen. »Ein Gesicht nur, verloren unter vielen anderen. Wie gut, dass du dich jetzt für Religion interessierst, Fonchito. Ich habe gehört, du machst bei einer Gruppe mit, die sich einmal in der Woche trifft, um die Bibel zu lesen. Macht dir das Spaß?«
    »Du lügst mich an, Schätzchen«, tadelte Lucrecia ihn liebevoll und versuchte ihre Verwunderung zu verbergen. »Das hat er dir nicht sagen können. Das ist nicht möglich, dass der Herr Torres von dem Bibelkreis weiß.«
    »Er wusste sogar, dass wir letzte Woche die Genesis zu Ende gelesen und mit dem Buch Exodus angefangen haben.« Der Junge machte nun eine besorgte Miene. Auch er schien erschrocken. »Selbst das wusste er, ich schwöre es. Ich war so überrascht, dass ich es ihm gesagt habe, Stiefmutter.«
    »Das sollte dich nicht überraschen, Fonchito.« Edilberto Torres lächelte. »Ich habe dich schätzen gelernt, und es interessiert mich einfach, zu erfahren, wie es dir geht, in der Schule, in deiner Familie und im Leben. Deshalb versuche ich herauszufinden, was du tust und mit wem du zusammen bist. Es ist ein Zeichen von Zuneigung, mehr nicht. Man muss nicht immer ein Haar im Ei finden, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Dem werde ich was erzählen, wenn er von der Schule kommt«, sagte Rigoberto, auf einmal richtig wütend. »So kann Foncho nicht mit uns spielen. Alle diese Märchen, mit denen er uns kommt, ich will sie nicht mehr hören.«
    Er rauschte ab ins Bad und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Etwas beunruhigte ihn, er ahnte neuen Ärger. Nie hatte er geglaubt, dass das Schicksal der Menschen geschrieben stand, dass das Leben ein Drehbuch war, nach dem die Menschen unbewusst handelten, aber seit Ismaels unseliger Hochzeit und den angeblichen Erscheinungen dieses Edilberto Torres hatte er das Gefühl, dass sich die Vorherbestimmung in sein Leben schlich. Konnte es sein, dass seine Tage eine von einer übernatürlichen Macht festgelegte Folge waren, wie die Calvinisten glaubten? Doch das Schlimmste war, dass das Ungemach für die Familie an diesem schwarzen Dienstag gerade erst begonnen hatte.
    Rigoberto und Lucrecia hatten sich an den Mittagstisch gesetzt und stocherten, wortlos und mit Kummermiene, im Salat, als Justiniana ins Zimmer gestürmt kam, ohne auch nur anzuklopfen:
    »Sie werden am Telefon verlangt, Señor.« Sie war ganz erregt, ihre Augen funkelten, wie bei einem feierlichen Anlass. »Der Herr Ismael Carrera persönlich!«
    Rigoberto sprang auf und stürzte, stolpernd fast, in sein Arbeitszimmer, um dort das Gespräch entgegenzunehmen.
    »Ismael? Bist du es, Ismael? Von wo rufst du an?«
    »Von hier, aus Lima, von wo sonst«, hörte er seinen Exchef und Freund sagen, in demselben ungezwungenen und jovialen Ton wie beim letzten Anruf. »Wir sind gestern Abend angekommen und brennen darauf, euch zu sehen, Rigoberto. Aber wir beide haben viel zu besprechen, warum treffen wir uns nicht jetzt gleich, nur wir zwei. Hast du schon gegessen? Na schön, dann trinken wir einen Kaffee. Ja, jetzt gleich, ich erwarte dich bei mir zu Hause.«
    »Ich fliege«, verabschiedete sich Rigoberto wie mechanisch. Was für ein Tag.
    Er wollte keinen weiteren Bissen essen und sauste davon, versprach Lucrecia nur, er komme direkt zurück und erzähle ihr von dem Gespräch mit Ismael. Die Ankunft seines Freundes und Quells aller Scherereien mit den Zwillingen vermochte es, dass er nicht länger an die Begegnung mit dem Untersuchungsrichter dachte und auch nicht an die erneute Erscheinung von Edilberto Torres in einem Sammeltaxi auf der Strecke nach Chorrillos.
    Der alte Sack und seine frischgebackene Ehefrau waren also endlich aus den Flitterwochen zurück. Ob er wirklich auf dem Laufenden war? Hatte Claudio Arnillas ihm tatsächlich Tag für Tag berichtet, in welche Schwierigkeiten die Verfolgung durch die Hyänen sie brachte? Er würde offen mit ihm reden, würde ihm sagen, dass es jetzt reichte, seit seiner Unterschrift als Trauzeuge sei sein Leben zu einem Albtraum geworden, er solle sofort etwas unternehmen, damit Miki und Schlaks aufhörten mit ihren Schikanen.
    Doch als er zu der im Neokolonialstil erbauten, von den Gebäuden ringsum fast erdrückten Villa in San Isidro kam, empfingen ihn Ismael und Armida mit einer so überschäumenden Herzlichkeit, dass sich sein Ansinnen,

Weitere Kostenlose Bücher