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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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bescheidener, aber effizienter Profi, nicht zu teuer. Sein Vater, ehemals Abgeordneter im Kongress, war ein bekannter Kämpfer für soziale Gerechtigkeit gewesen, hatte Kleinbauern verteidigt, das Gefängnis und das Exil kennengelernt und ein Buch über die indigenen Völker geschrieben, das ihn berühmt machte. Als Felícito zum Ende kam, blickte Dr. Castro Pozo zufrieden:
    »Klar ist das machbar, Don Felícito«, rief er und spielte mit seinem Ministift. »Aber lassen Sie mich, um sicherzugehen, die Sache in Ruhe prüfen und juristisch von allen Seiten beleuchten. Dafür benötige ich allenfalls ein paar Tage. Soll ich Ihnen etwas sagen? Was Sie da vorhaben, bestätigt mehr als deutlich, was ich immer von Ihnen gedacht habe.«
    »Und was haben Sie von mir gedacht, Doktor Castro Pozo?«
    »Dass Sie ein hohes Ethos haben, Don Felícito. Moralisch bis in die Haarspitzen. So etwas habe ich nicht oft erlebt, wirklich nicht.«
    Voller Neugier – was sollte das wohl heißen, »ein hohes Ethos«? – sagte sich Felícito, dass er sich am besten mal ein Wörterbuch kaufen sollte. Die ganze Zeit hörte er Wörter, deren Bedeutung er nicht verstand. Und er schämte sich, jemanden danach zu fragen. Dann ging er zum Mittagessen nach Hause. Wieder hatten dort die Journalisten Stellung bezogen, doch er blieb nicht einmal stehen, um ihnen zu sagen, dass er keine Interviews gebe. Er ging vorbei, grüßte mit einem Nicken und sagte kein Wort auf ihre überstürzten Fragen.
    Nach dem Essen bat Armida ihn, einen Augenblick allein mit ihm zu sprechen. Doch als Felícito sich mit seiner Schwägerin ins Fernsehzimmer zurückzog, folgte ihnen zu seiner Überraschung Gertrudis, die sich erneut in ihrem Schweigen verschlossen hatte. Sie setzte sich in einen der Sessel und blieb, solange das Gespräch dauerte, dort sitzen und hörte zu, ohne sie auch nur einmal zu unterbrechen.
    »Es wird Ihnen seltsam erscheinen, dass ich, seit ich hier bin, dasselbe Kleid trage«, begann seine Schwägerin auf die banalste Weise.
    »Wenn ich ehrlich sein soll, Armida, finde ich alles seltsam, nicht nur, dass Sie sich nicht umgezogen haben. Erst einmal, dass Sie plötzlich hier auftauchen. Gertrudis und ich sind schon wer weiß wie viele Jahre verheiratet, und bis vor wenigen Tagen hat sie mir, soweit ich mich erinnere, nie gesagt, dass sie eine Schwester hat. Seltsamer geht es wohl kaum.«
    »Ich ziehe mich nicht um, weil ich nichts anderes anzuziehen habe«, fuhr seine Schwägerin fort, als hätte sie ihn nicht gehört. »Ich bin aus Lima weggegangen mit dem, was ich am Leib trage. Ich habe ein Kleid von Gertrudis anprobiert, es war mir zu weit. Aber ich erzähle besser von Anfang an.«
    »Sagen Sie mir nur eins«, bat Felícito. »Da Gertrudis, wie Sie bemerkt haben, verstummt ist und es mir nicht sagen wird: Haben Sie denselben Vater und dieselbe Mutter?«
    Armida rutschte unbehaglich hin und her, wusste nicht, was sie antworten sollte. Auf der Suche nach Unterstützung schaute sie zu Gertrudis, doch die schwieg weiter, in sich zurückgezogen wie eins dieser Weichtiere mit seltsamen Namen, die es bei den Fischverkäuferinnen auf dem Großmarkt gab. Ihr Ausdruck war völlig apathisch, als hätte nichts von dem Gehörten mit ihr zu tun. Auch wenn sie die Augen nicht von ihnen wandte.
    »Wir wissen es nicht«, sagte Armida schließlich und deutete mit dem Kinn zu ihrer Schwester. »Wir haben viel davon gesprochen in diesen drei Tagen.«
    »Aha, mit Ihnen spricht Gertrudis also. Da haben Sie mehr Glück als ich.«
    »Wir haben dieselbe Mutter, so viel ist sicher«, sagte Armida und fand die Beherrschung wieder. »Sie ist ein paar Jahre älter als ich. Aber keine von uns erinnert sich an einen Vater. Vielleicht war es derselbe, vielleicht nicht. Wir können niemanden mehr fragen, Felícito. Als wir in das Alter kamen, an das wir eine Erinnerung haben, hatte die Dragonerin, so wurde meine Mutter genannt, aber das wissen Sie ja, keinen Mann mehr.«
    »Haben Sie auch in der Pension El Algarrobo gelebt?«
    »Bis ich fünfzehn war«, sagte Armida. »Es war noch keine Pension, nur ein Gasthaus für Maultiertreiber, irgendwo draußen an der Straße. Mit fünfzehn bin ich dann nach Lima gegangen, um Arbeit zu suchen. Es war alles andere als einfach. Was habe ich nicht alles mitgemacht, Sie können es sich nicht vorstellen. Aber Gertrudis und ich haben den Kontakt nie verloren. Ab und zu habe ich ihr geschrieben, auch wenn sie nur alle Jubeljahre antwortete. Briefe

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