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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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führen, Felícito. Du hast es so gewollt, nicht ich.«
    Wieder machte sie eine lange Pause und murmelte, wobei sie mit ihren knotigen Fingern das Kreuzzeichen über ihm schlug:
    »Was Miguel dir angetan hat, ist die Buße, die dir auferlegt ist. Und auch mir.«
    Beim letzten Wort erhob sich Gertrudis, mit einer Gewandtheit, die Felícito an ihr nicht kannte, und verließ schlurfend das Zimmer. Er blieb sitzen, ohne das Treiben auf der Calle Arequipa zu hören, die Stimmen, das Gehupe, die Motorradtaxis, versunken in einer tiefen Benommenheit, in Verzweiflung und Traurigkeit, dass er nicht einmal denken konnte, geschweige denn aufstehen. Aber das wollte er, wollte hinaus aus diesem Haus, auch wenn die Journalisten sich gleich auf ihn stürzten mit ihren unerbittlichen Fragen, eine dümmer als die andere, wollte zum Malecón Eguiguren, sich hinsetzen und sehen, wie die grauen und braunen Wasser des Flusses flossen, wollte dieWolken am Himmel betrachten und die laue Luft des Abends atmen, die Schreie der Vögel hören. Aber er versuchte erst gar nicht, sich zu bewegen, die Beine würden ihm sowieso nicht gehorchen, oder der Schwindel streckte ihn auf den Teppich. Ihn entsetzte der Gedanke, sein Vater könnte aus dem Jenseits das Gespräch mit seiner Frau gehört haben.
    Er wusste nicht, wie lange er in diesem zähen Halbzustand verharrt hatte, während er spürte, wie die Zeit verging, beschämt und sich selbst bemitleidend, Gertrudis, Miguel, die ganze Welt. Ab und zu, wie ein feiner Strahl reinsten Lichts, erschien in seinem Kopf das Gesicht seines Vaters, und dieses flüchtige Bild erleichterte ihn für einen Augenblick. Wenn Sie noch lebten, dachte er, und das alles mitbekämen, würden Sie noch einmal sterben.
    Plötzlich sah er, dass Tiburcio hereingekommen war, ohne dass er es gemerkt hätte. Er kniete vor ihm, fasste ihn an den Armen und schaute erschrocken.
    »Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen«, beruhigte er ihn. »Ich bin nur eingenickt, weiter nichts.«
    »Möchten Sie, dass ich einen Arzt rufe?« Sein Sohn trug den blauen Overall und die Uniformmütze der Fahrer des Unternehmens, auf dem Mützenschirm stand »Transportes Narihualá«. In der Linken hielt er die Handschuhe aus Rohleder, die er trug, wenn er die Busse fuhr. »Sie sind ganz blass, Vater.«
    »Bist du gerade aus Tumbes gekommen?«, fragte er. »War es eine gute Fahrt?«
    »Fast voll besetzt und auch beladen.« Tiburcio hatte immer noch ein erschrockenes Gesicht und nahm ihn unter die Lupe, als wollte er ihm ein Geheimnis entlocken. Es war klar, dass er ihm am liebsten viele Fragen gestellt hätte, aber er traute sich nicht. Felícito hatte Mitleid auch mit ihm.
    »Die Nachricht von Miguel habe ich im Radio gehört, oben in Tumbes«, sagte er verwirrt. »Ich konnte es nicht glauben. Ich habe tausendmal angerufen, aber niemand hat abgenommen. Ich weiß nicht, wie ich es bis hier geschafft habe. Glauben Sie, dass es stimmt, was die Polizei über meinen Bruder sagt?«
    Felícito wollte schon sagen: »Er ist nicht dein Bruder«, aber er beherrschte sich. Waren Miguel und Tiburcio etwa nicht Brüder? Nur halb, aber sie waren es.
    »Vielleicht ist es gelogen. Ich glaube, das sind alles Lügen«, sagte Tiburcio erregt, ohne vom Boden aufzustehen, den Vater immer noch an den Armen haltend. »Die Polizei hat ihn vielleicht zu einem falschen Geständnis gezwungen, ihn zusammengeschlagen, gefoltert. Die machen so was, das ist bekannt.«
    »Nein, Tiburcio, es stimmt«, sagte Felícito. »Er ist die Spinne. Er hat alles ausgeheckt. Als seine Komplizin gegen ihn aussagte, hat er gestanden. Ich bitte dich jetzt um einen großen Gefallen, Junge. Sprechen wir nicht weiter davon. Nie wieder. Nicht von Miguel, nicht von dieser Spinne. Für mich ist es, als gäbe es deinen Bruder nicht mehr. Besser gesagt, als hätte es ihn nie gegeben. Ich will nicht, dass sein Name in diesem Haus erwähnt wird. Nie wieder. Du kannst tun, was du willst. Ihn besuchen, wenn du möchtest. Ihm Essen bringen, einen Anwalt besorgen, was immer. Das ist mir egal. Ich weiß nicht, was deine Mutter vorhat. Mir erzählen sie nichts. Ich will auch nichts wissen. In meiner Gegenwart soll er nie wieder erwähnt werden. Ich verfluche seinen Namen und Schluss. Jetzt hilf mir auf, Tiburcio. Ich weiß nicht, warum, aber mir ist, als hätten meine Beine plötzlich ihren eigenen Willen.«
    Tiburcio stand auf, packte ihn an beiden Armen und hob ihn mühelos hoch.
    »Und dann bitte ich dich, dass

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