Ein diskreter Held
schreiben war nie ihre Sache. Sie war ja auch nur zwei oder drei Jahre auf der Schule. Ich hatte mehr Glück, ich habe die Grundschule beendet. Die Dragonerin hat dafür gesorgt, dass ich hingehe. Gertrudis musste schon bald in der Pension arbeiten.«
Felícito drehte sich zu seiner Frau um.
»Ich verstehe nicht, warum du mir nicht erzählt hast, dass du eine Schwester hast.«
Aber sie schaute ihn nur weiter wie durch Wasser an.
»Ich kann Ihnen sagen, warum«, antwortete Armida statt ihrer. »Gertrudis schämte sich dafür, dass ihre Schwester in Lima als Dienstmädchen arbeitete. Vor allem nachdem sie Sie geheiratet hatte und nun eine ehrbare Frau war.«
»Sie waren Hausangestellte?« Felícito warf einen verwunderten Blick auf das Kleid seiner Schwägerin.
»Mein ganzes Leben lang, Felícito. Nur einmal war ich kurze Zeit Arbeiterin in einer Textilfabrik in Vitarte.« Sie lächelte. »Ich sehe schon, es kommt Ihnen seltsam vor, dass ich so ein feines Kleid trage und solche Schuhe, na ja, und diese Uhr hier. Das ist alles aus Italien, unglaublich, nicht?«
»Es kommt mir tatsächlich mehr als seltsam vor, Armida«, sagte Felícito. »Sie machen nicht gerade den Eindruck eines Dienstmädchens.«
»Ich habe den Herrn des Hauses geheiratet, wo ich angestellt war«, erklärte Armida und wurde rot. »Ein bedeutender Herr, vermögend.«
»Na, Donnerwetter, ich sehe schon, eine Hochzeit, die Ihr Leben verändert hat«, sagte Felícito. »Das heißt, Sie haben das große Los gezogen.«
»Nicht unbedingt«, korrigierte ihn Armida. »Der Herr Carrera, ich meine Ismael, mein Mann, war nämlich Witwer und hatte zwei Söhne aus erster Ehe. Und seit meiner Hochzeit mit ihrem Vater hassen sie mich. Sie wollten, dass man die Ehe für ungültig erklärt, haben mich bei der Polizei angezeigt und vor Gericht behauptet, er würde unter Altersschwachsinn leiden. Ich hätte ihn verhext, sagen sie, hätte ihm etwas in den Tee getan und was weiß ich für Sachen.«
Alle Gelassenheit war aus Armidas Gesicht gewichen. In ihrer Miene lag nun Trauer und Wut.
»Die Hochzeitsreise haben wir nach Italien gemacht«, sprach sie weiter, und ihre Stimme wurde sanfter, sie lächelte. »Es waren wunderbare Wochen. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal so schöne, so andere Dinge kennenlerne. Wir haben sogar den Papst auf seinem Balkon gesehen, auf dem Petersplatz. Es war eine Reise wie im Märchen. Ismael hatte oft Geschäftstermine, dann habe ich mir vieles allein angesehen.«
Das ist also die Erklärung für dieses Kleid, den Schmuck, die Uhr und die Schuhe, dachte Felícito. Flitterwochen in Italien! Sie hat einen reichen Mann geheiratet. Eine Geldheirat!
»Mein Mann hatte in Lima eine Versicherungsgesellschaft, die hat er drüben in Italien verkauft. Damit sie nicht in die Hände seiner Söhne fiel. Die konnten es nicht abwarten, ihn zu beerben, obwohl er ihnen ihr Erbteil schon zu Lebzeiten ausbezahlt hatte. Nichtsnutze sind das, verprassen alles gleich. Ismael hat es sehr wehgetan, deshalb hat er die Gesellschaft verkauft. Ich habe versucht, das ganze juristische Durcheinander zu verstehen, aber für mich war es ein Buch mit sieben Siegeln. Wie auch immer, kaum waren wir zurück in Lima, hatte mein Mann einen Herzinfarkt und ist gestorben.«
»Das tut mir sehr leid«, stammelte Felícito. Armida schwieg nun, die Augen gesenkt. Gertrudis saß weiter reglos da.
»Oder man hat ihn umgebracht«, fügte Armida hinzu. »Ich weiß nicht. Er sagte, seine Söhne wären so versessen auf sein Geld, dass sie sich nicht scheuen würden, ihn umbringen zulassen. Von heute auf morgen war er tot, und ich werde den Gedanken nicht los, dass die Zwillinge, es sind nämlich Zwillinge, seine Söhne, den Herzinfarkt irgendwie verursacht haben. Wenn es überhaupt ein Infarkt war und sie ihn nicht vergiftet haben. Ich weiß nicht.«
»So langsam verstehe ich Ihre Flucht nach Piura und dass Sie keinen Fuß vor die Tür setzen«, sagte Felícito. »Denken Sie wirklich, die Söhne ihres Mannes könnten …?«
»Ich weiß nicht, ob sie es jemals im Sinn hatten, aber Ismael sagte, sie wären zu allem fähig, selbst ihn umbringen zu lassen.« Armida sprach immer erregter. »Ich habe mich nicht mehr sicher gefühlt, hatte große Angst, Felícito. Es gab ein Treffen mit ihnen, bei den Anwälten. So wie sie mich anschauten, dachte ich, sie könnten auch mich umbringen lassen. Mein Mann sagte, in Lima findet man heute für paar Sol einen Killer, der wen auch
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