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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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du mich zum Büro begleitest«, sagte Felícito. »Das Leben muss weitergehen, die Arbeit auch. Nicht nur die Familie leidet darunter, mein Sohn. Transportes Narihualá genauso. Wir müssen den Laden wieder in Schwung bringen.«
    »Aber die Straße ist voller Journalisten«, sagte Tiburcio. »Wie im Rudel sind die über mich hergefallen und haben mich nicht durchgelassen. Mit einem hätte ich mich fast geprügelt.«
    »Du wirst mir helfen, diese aufdringlichen Typen loszuwerden, Tiburcio.« Er schaute seinem Sohn in die Augen, und während er ihm unbeholfenen über die Wange strich, sagte er,seine Stimme noch milder: »Ich bin dir dankbar, dass du Mabel nicht erwähnt hast. Dass du mich nicht nach dieser Frau gefragt hast. Du bist ein guter Junge.«
    Er hakte sich bei ihm unter, und zusammen gingen sie zur Haustür. Kaum öffnete die sich, brach auf der Straße der Tumult los, und angesichts der Blitzlichter musste er die Augen zukneifen. »Ich habe nichts zu erklären, Herrschaften, vielen Dank«, sagte er zwei, drei, zehn Mal, während er, fest an Tiburcios Arm, mühsam über die Calle Arequipa schritt, bedrängt, gehetzt, geschubst von dem Schwarm Journalisten, die einander ins Wort fielen und ihm ihre Mikrofone ins Gesicht hielten, ihre Kameras, Notizblöcke und Stifte. Man stellte ihm Fragen, die er gar nicht verstehen konnte, und alle paar Meter wiederholte er wie einen Refrain: »Ich habe nichts zu erklären, meine Damen und Herren, vielen Dank.« Sie eskortierten ihn bis zu Transportes Narihualá, betraten aber nicht das Gelände, da der Wächter ihnen das Tor vor der Nase zuschlug. Als er schließlich an dem Brett auf zwei Ölfässern saß, das nun sein Schreibtisch war, brachte Tiburcio ihm ein Glas Wasser.
    »Und diese elegante Dame, Armida, kannten Sie die, Vater?«, fragte er. »Wussten Sie, dass Mutter unten in Lima eine Schwester hat? Uns hat sie nie davon erzählt.«
    Er schüttelte den Kopf und legte den Finger an die Lippen:
    »Ein großes Geheimnis, Tiburcio. Sie versteckt sich hier, offenbar wird sie in Lima verfolgt, man will sie sogar umbringen. Am besten vergisst du es und sagst niemandem, dass du sie gesehen hast. Wir haben schon genug Ärger. Den meiner Schwägerin brauchen wir nicht auch noch.«
    Dann gab er sich einen Ruck und fing an zu arbeiten. Sah die Konten und die Post durch, die Fälligkeiten, laufenden Ausgaben, Einnahmen, Rechnungen, die Zahlungen an die Lieferanten, die Außenstände. Zugleich entwarf er, irgendwo in seinem Hinterkopf, einen Aktionsplan für die nächsten Tage. Und nach einer Weile ging es ihm schon besser, ahnte er, dass es möglich war, diese schwierige Schlacht zu gewinnen. Auf einmal überkam ihn eine ungeheure Lust, die warme, klareStimme von Cecilia Barraza zu hören. Schade, dass er keine CDs von ihr im Büro hatte, Distel und Asche , Unschuldige Liebe , Schöner Liebling oder Der Stier tötet , auch kein Gerät, um sie abzuspielen. Sobald es wieder etwas besser lief, sobald die Zerstörungen des Brandes beseitigt waren, würde er sich eins kaufen. Und am Nachmittag oder an den Abenden, wenn er zur Arbeit noch im Büro blieb, in Momenten wie diesen würde er die CDs seiner Lieblingssängerin einlegen und alles vergessen, könnte fröhlich sein oder traurig, immer aber berührt von jener reinen Stimme, die es verstand, dem Vals, den Marineras, den Polkas, den Pregones, der ganzen kreolischen Musik die zartesten Gefühle zu entlocken, die sich in ihr verbargen.
    Als er das Gelände von Transportes Narihualá verließ, war es schon dunkle Nacht. Journalisten waren keine mehr auf der Avenida, sie seien das Warten leid gewesen, sagte der Wächter, und hätten sich vor einer Weile zerstreut. Tiburcio war ebenfalls, auf seine Bitte hin, vor über einer Stunde gegangen. Auf der Calle Arequipa waren kaum noch Menschen, und er versuchte niemanden anzuschauen, blieb möglichst im Schatten, damit man ihn nicht erkannte. Zum Glück hielt keiner ihn an oder zog ihn in ein Gespräch. Als er nach Hause kam, schliefen Armida und Gertrudis schon, oder zumindest hörte er sie nicht. Er ging ins Fernsehzimmer und legte ein paar CDs ein, ganz leise. Und so saß er im Dunklen, einige Stunden wohl, abgelenkt und ergriffen, ganz und gar nicht frei von allen Sorgen, aber doch etwas leichter durch die Lieder, die Cecilia Barraza in dieser intimen Atmosphäre für ihn sang. Ihre Stimme war wie Balsam, war ein frisches, kristallklares Wasser, in das sein Körper und seine Seele

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