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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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dirigiert einmal von Claudio Abbado mit Maurizio Pollini als Solisten und einmal unter der Leitung von Sir Simon Rattle mit Yefim Bronfman am Klavier. Beide Einspielungen waren vorzüglich. Nie hatte er sich eindeutig für eine entscheiden können, jedes Mal fand er beide, so unterschiedlich sie waren, gleichermaßen unübertrefflich. Doch an diesem Abend passierte ihm etwas bei Bronfmans Interpretation, zu Beginn des zweiten Satzes – Allegro appassionato –, was seine Wahl entschied: Er spürte, wie seine Augen feucht wurden. Nur selten hatte er einmal bei einem Konzert geweint. War es Brahms, war es der Pianist, war es dieser überempfindliche Zustand, in den ihn die Ereignisse des Tages katapultiert hatten?
    Als er ins Bett ging, fühlte er sich, wie er es ersehnt hatte: todmüde und völlig ruhig. Ismael, Armida, die Hyänen, Edilberto Torres, sie schienen weit weg, wie aus der Welt geschafft. Ob er jetzt durchschlafen konnte? Schön wär’s. Nachdem er sich eine Weile hin und her gewälzt hatte, im schummrigen Licht des Schlafzimmers, wo nur Lucrecias Nachttischlampe brannte, fragte er, gepackt von einer freudigen Erregung, ganz leise seine Frau:
    »Hast du dich nie gefragt, Liebling, wie das wohl war, diese Geschichte mit Ismael und Armida? Wann und wie sie begonnen hat. Wer den ersten Schritt wagte. Welche Art von Spielchen, Zufälligkeiten, Reibereien oder Scherzen sie vorantrieb.«
    »Genau das«, murmelte sie und drehte sich ihm zu, als erinnerte sie sich an etwas. Und an ihren Mann gedrückt flüsterte sie: »Die ganze Zeit habe ich mich das gefragt, Schatz. Seit der ersten Minute, als du mir von der Geschichte erzählt hast.«
    »Ach ja? Und was hast du gedacht? Was ist dir so in den Sinn gekommen?« Rigoberto drehte sich ebenfalls und umfasste ihre Taille. »Warum erzählst du es mir nicht?«
    Draußen, in den Straßen von Barranco, war jene große nächtliche Stille, unterbrochen nur vom fernen Rauschen des Meeres. Ob Sterne zu sehen waren? Nein, um diese Jahreszeit zeigten sie sich nie am Himmel von Lima. Aber drüben in Europa wäre jede Nacht zu sehen, wie sie funkelten und strahlten. Und mit der warmen, langsamen Stimme der Versuchung, einer Stimme, die für Rigoberto Musik war, sprach Lucrecia leise, als sagte sie ein Gedicht auf:
    »So unglaublich es klingt, aber die Romanze von Ismael und Armida kann ich dir in allen Einzelheiten erzählen. Ich weiß doch, wie es dir den Schlaf raubt, wie die Gedanken dich quälen, seit dein Freund dir im La Rosa Náutica sagte, sie würden heiraten. Von wem ich es weiß? Halt dich fest: von Justiniana. Sie und Armida sind seit langem eng befreundet. Besser gesagt, seit es mit Clotildes Beschwerden anfing und wir sie für ein paar Tage zu Armida schickten, um im Haushalt zur Hand zu gehen. Es waren diese traurigen Tage, als für Ismael die Welt zusammenbrach bei dem Gedanken, seine lebenslange Gefährtin und Mutter seiner Kinder könnte sterben. Erinnerst du dich?«
    »Natürlich erinnere ich mich«, log Rigoberto, und er sprach jede Silbe ins Ohr seiner Frau, als ginge es um ein unfassbares Geheimnis. »Wie sollte ich das vergessen haben, Lucrecia. Und was ist dann passiert?«
    »Nun ja, die beiden Frauen haben sich also angefreundet und sind zusammen ausgegangen. Damals hatte Armida offenbar bereits den Plan im Kopf, der ihr dann so trefflich gelang. Von einer Angestellten, die Betten macht und Zimmer putzt, zur rechtmäßig angetrauten Ehefrau von keinem Geringeren als Don Ismael Carrera, Grandseigneur von Lima und noch dazu steinreich. Und obendrein in den Siebzigern und vielleicht gar über achtzig.«
    »Vergiss das Gerede und was wir längst wissen.« Rigoberto tat bekümmert. »Kommen wir zu dem, was wirklich zählt, Liebling. Du weißt genau, was. Fakten, Fakten.«
    »Das will ich ja. Armida hat alles listig geplant. Klar, wenn dieses Fräulein aus Piura keine körperlichen Reize gehabt hätte, hätten weder ihre Intelligenz noch ihre List ihr etwas genutzt. Justiniana hat sie natürlich nackt gesehen. Wenn du mich fragst, wie und warum, ich kann es dir nicht sagen. Sicher haben Sie irgendwann einmal zusammen geduscht. Oder im selben Bett geschlafen, wer weiß. Sie sagt, wir würden uns wundern, wie knackig Armida ist, wenn man sie splitternackt sieht, was sonst keiner merkt, so wie sie sich anzieht, in diesen Sackkleidern für Dicke. Justiniana sagt, sie ist nicht dick, ihre Brüste und ihr Hintern schön drall, die Nippel spitz, die Beine

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