Ein diskreter Held
Gott. Ich zumindest nicht.«
Auch in dem Kirchlein war alles vorbereitet, wo, hieß es, zur Zeit der Kolonie die Reisenden auf dem Weg von Callao nach Lima immer Halt machten, um die Allerheiligste Jungfrau vom Karmel zu bitten, sie möge sie vor den Räuberbanden beschützen, die auf dem freien Feld zwischen dem Hafen und der Hauptstadt des Vizekönigreichs ihr Unwesen trieben. Der Pfarrer brauchte keine zwanzig Minuten, um die frischgebackenen Eheleute kirchlich zu trauen und ihnen den Segen zu spenden. Ein Fest gab es nicht, auch keinen Trinkspruch, außer erneut die Glückwünsche und Umarmungen von Narciso, Rigoberto und Lucrecia für das Paar. Erst in dem Moment eröffnete ihnen Ismael, dass Armida und er von dort aus gleich zum Flughafen führen, um auf Hochzeitsreise zu gehen. Ihr Gepäck sei bereits im Kofferraum des Wagens. »Aber fragt mich nicht, wohin, das verrate ich euch nämlich nicht. Ach, ehe ich’s vergesse. Ihr müsst morgen unbedingt die Klatschseite in El Comercio lesen. Da seht ihr dann die Anzeige, die der Gesellschaft von Lima unsere Hochzeit bekannt gibt«, worauf er schallend lachte und ihnen schelmisch zuzwinkerte. Die beiden brachen direkt auf, gefahren von Narciso, der aus dem Zeugenstand wieder zurückgekehrt war in den Stand des Chauffeurs von Don Ismael Carrera.
»Ich kann das Ganze immer noch nicht glauben«, sagte Lucrecia, als sie und Rigoberto an der Küste entlang zurücknach Barranco fuhren. »Kommt dir das nicht vor wie ein Spiel, ein Theaterstück, eine Farce? Was auch immer, aber nicht, was im wirklichen Leben wirklich geschieht.«
»Ja, du hast recht«, sagte ihr Mann. »Das Schauspiel eben hatte etwas Unwirkliches. Nun denn, Ismael und Armida hauen ab, um es sich gutgehen zu lassen. Und sich zu schützen vor dem, was kommt. Was auf uns, die wir hierbleiben, jetzt zukommt, meine ich. Am besten fliegen auch wir so bald wie möglich. Warum ziehen wir unsere Europareise nicht vor, Lucrecia?«
»Nein, das geht nicht. Nicht, solange wir mit Fonchito solche Probleme haben«, sagte Lucrecia. »Hättest du kein schlechtes Gewissen, wenn wir jetzt fliegen und ihn allein lassen mit diesem Durcheinander in seinem Kopf?«
»Natürlich hätte ich das«, musste Rigoberto zugeben. »Wenn nicht diese verdammten Erscheinungen wären, hätte ich die Tickets längst gekauft. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich auf die Reise freue. Ich habe die Route genauestens geplant, bis ins kleinste Detail. Du wirst begeistert sein, glaub mir.«
»Die Zwillinge werden es erst morgen erfahren, aus der Anzeige«, meinte Lucrecia. »Sobald sie wissen, dass die Turteltäubchen davongeflogen sind, wirst du der Erste sein, von dem sie eine Erklärung verlangen, da bin ich mir sicher.«
»Von mir, klar«, sagte Rigoberto. »Aber da das erst morgen sein wird, haben wir heute noch einen ganzen Tag in Ruhe und Frieden. Sprechen wir nicht mehr von den Hyänen, bitte.«
Sie versuchten es. Weder beim Mittagessen noch am Nachmittag oder beim Abendessen erwähnten sie mit einem Wort die Söhne von Ismael Carrera. Als Fonchito aus der Schule kam, erzählten sie ihm von der Hochzeit. Der Junge, der seit seinen Begegnungen mit Edilberto Torres immer wie abwesend und ganz in sich vertieft war, schien der Sache nicht die geringste Bedeutung beizumessen. Er hörte ihnen zu, lächelte aus reiner Höflichkeit und schloss sich dann in seinem Zimmer ein, er habe, sagte er, viele Hausaufgaben. Doch auch wenn Rigoberto und Lucrecia während des restlichen Tages dieZwillinge nicht erwähnten, wussten sie beide, dass, egal was sie taten oder worüber sie sprachen, eine Sorge sie immer umtrieb: Wie würden die Söhne reagieren, wenn sie von der Hochzeit ihres Vaters erfuhren? Es wäre keine gesittete und vernünftige Reaktion, das war klar. Denn die feinen Brüder waren weder gesittet noch vernünftig, nicht ohne Grund nannte man sie die Hyänen, ein Spitzname, den sie sich, als sie noch kurze Hosen trugen, in ihrem Viertel redlich verdient hatten.
Nach dem Abendessen zog Rigoberto sich in sein Arbeitszimmer zurück und schickte sich an, ein weiteres Mal einen jener Vergleiche anzustellen, die ihn so begeisterten, denn sie beanspruchten seine ganze Aufmerksamkeit und ließen ihn alles andere vergessen. Diesmal hörte er die beiden Aufnahmen, die er von einem seiner Lieblingsstücke besaß: Konzert für Klavier und Orchester Nummer 2, Opus 83, von Johannes Brahms, beide aufgenommen von den Berliner Philharmonikern,
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