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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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und zurück, von links nach rechts und herum, vom Wind bewegt. Und mit den Füßen fest auf dem Boden, im Versuch, den Kopf zu leeren, wiegte er sich und suchte seine Mitte. Nach der Mitte suchen. Nicht die Mitte verlieren. Die Arme heben und sie langsam senken, ein feiner Regen, der vom Himmel fällt und seinen Körper und seine Seele erfrischt, seine Nerven beruhigt, die Muskeln. Den Himmel und die Erde an ihrem Platz halten und verhindern, dass sie sich verbinden – ein Arm hochgestreckt, den Himmel stützend, der andere nach unten, die Erde haltend –, und sich dann über die Arme streichen, das Gesicht, die Nieren, die Beine, um die restlichen Verspannungen an allen Stellen des Körpers zu vertreiben. Das Wasser mit den Händen teilen und verbinden. Die Lendengegend mit einer sanften Massage wärmen. Die Arme öffnen, wie der Schmetterling seine Flügel entfaltet. Am Anfang hatte ihn die außerordentliche Langsamkeit der Bewegungen, dieses Atmen in Zeitlupe, das die Luft in alle Winkel des Organismus führen sollte, ungeduldig gemacht; doch mit den Jahren gewöhnte er sich daran. Er verstand nun, dass in der Langsamkeit die Wohltat lag, eine Wohltat, welche dieses zarte und tiefe Einatmen und Ausatmen seinem Körper und seinem Geist schenkte, diese Bewegungen, mit denen er, eine Hand hebend und die andere zum Boden streckend, die Knie leicht gebeugt, die Sterne an ihrem Firmament hielt und die Apokalypse bannte. Als er am Ende die Augen schloss und ein paar Minuten still stehen blieb, die Hände zusammen, als würde er beten, war eine halbe Stunde vergangen. In den Fenstern stand bereits das helle, weiße Licht des Morgens von Piura.
    Ein paar kräftige Schläge an der Haustür hallten in sein Qigong. Er dachte, Saturnina hätte sich verfrüht, denn sonst kam sie nie vor sieben. Doch als er öffnete, blickte er in das Gesicht von Lucindo.
    »Schnell, Don Felícito, laufen Sie.« Der Blinde von der Eckewar völlig aufgelöst. »Ein Herr hat mir gesagt, dass Ihr Büro an der Avenida Sánchez Cerro brennt, Sie sollen die Feuerwehr rufen und sofort hinkommen.«

IV
    Die Trauung von Ismael und Armida war die kürzeste und einsamste, die Rigoberto und Lucrecia je gekannt hatten, auch wenn sie ihnen mehr als eine Überraschung bot. Sie fand im Rathaus von Chorrillos statt, am Morgen, als die Kinder in ihren Schuluniformen noch zum Unterricht strömten und die Büroangestellten aus Barranco, Miraflores und Chorrillos sich beeilten, mit dem Sammeltaxi, dem Auto oder dem Bus zur Arbeit zu kommen. Ismael, der, wie nicht anders zu erwarten, Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte, damit seine Söhne noch nichts davon erfuhren, hatte Rigoberto erst am Vorabend gesagt, dass er auf dem Amt von Chorrillos erscheinen solle, in Begleitung seiner Frau, wenn er wünsche, um Punkt neun und mit seinem Ausweis. Als sie zum Rathaus kamen, waren die Brautleute bereits dort, auch Narciso, der sich zu diesem Anlass einen dunklen Anzug angezogen hatte, ein weißes Hemd und eine blaue Krawatte mit goldenen Sternchen.
    Ismael trug Grau, elegant wie immer, und Armida ein Schneiderkostüm und neue Schuhe. Sie machte einen gehemmten und etwas verlegenen Eindruck und sprach Doña Lucrecia mit »Señora« an, obwohl die sie, als sie sie umarmte, bat, sie zu duzen. »Wir beide werden jetzt gute Freundinnen sein, Armida«, aber für die ehemalige Hausangestellte war es schwer, wenn nicht unmöglich, ihr diesen Gefallen zu tun.
    Die Zeremonie war rasch vorbei. Der Bürgermeister trug ein wenig ruckelnd die Rechte und Pflichten der Eheschließenden vor, und kaum war er fertig, unterschrieben beide Zeugen die Urkunde. Es gab die unvermeidlichen Umarmungen und einen festen Händedruck. Aber alles war sehr kühl und wirkte, dachte Rigoberto, vorgespielt und künstlich. Die Überraschung kam, als sie aus dem Amt traten und Ismael sich miteinem durchtriebenen kleinen Lächeln an Rigoberto und Lucrecia wandte: »Und jetzt, meine Freunde, wenn ihr Zeit habt, lade ich euch ein zur kirchlichen Feier.« Sie wollten auch noch kirchlich heiraten! »Die Sache ist ernster gemeint als gedacht«, bemerkte Lucrecia, während sie zu der alten Kirche Unserer Lieben Frau vom Karmel fuhren, nahe bei Callao, wo die katholische Trauung stattfand.
    »Die einzige Erklärung ist, dass dein Freund Ismael den Blues gekriegt und sich wirklich verliebt hat«, sagte Lucrecia. »Oder ob er tatsächlich gaga ist? Ehrlich gesagt, er macht nicht den Eindruck. Wer mag das verstehen, mein

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