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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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geworden ist?«,fragte der Hauptmann. Er schaute sehr ernst und wandte die Augen nicht von dem Sergeanten.
    »Ich habe ihn nie wieder gesehen, auch nicht die beiden anderen Unbezwingbaren, meine Cousins. Seit man mich wieder in die Polizei aufgenommen hat, bin ich in der Sierra gewesen, in der Selva, in Lima. Einmal quer durch Peru, könnte man sagen. Ich bin erst vor kurzem nach Piura zurückgekehrt. Deshalb sagte ich Ihnen, dass es wahrscheinlich völlig belanglos ist, was mir da in den Sinn kam. Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob es Spinnen waren. Er hat etwas gemalt, das ja. Andauernd, und wir Unbezwingbaren haben uns über ihn lustig gemacht.«
    »Wenn dieser Lude noch lebt, würde ich ihn gerne kennenlernen«, sagte der Kommissar und klatschte auf den Tisch. »Finde es heraus, Lituma. Ich weiß nicht, warum, aber das riecht gut. Vielleicht haben wir da ein Stück Fleisch am Haken. Schön zart und saftig. Ich habe es im Speichel, im Blut und in den Hoden. Bei solchen Sachen irre ich mich nie. Ich sehe schon Licht am Ende des Tunnels. Ein helles, Lituma.«
    Der Hauptmann war so froh, dass der Sergeant schon bedauerte, ihm von seiner dunklen Ahnung erzählt zu haben. Stimmte es überhaupt, dass Josefino zur Zeit der Unbezwingbaren dauernd gemalt hatte? Sicher war er sich nicht mehr. Am Abend, nach Dienstschluss, als er wie gewohnt die Avenida Grau hochging zu seiner Pension im Viertel Buenos Aires, in der Nähe der Kaserne, strengte er sein Gedächtnis an und versuchte sich zu vergewissern, dass die Erinnerung ihn nicht trog. Nein, bestimmt nicht, auch wenn er jetzt nicht mehr ganz so überzeugt war. In Wellen kehrten Bilder aus seiner Kindheit zurück, auf den staubigen Straßen der Mangachería, als Äffchen und José in die sandigen Weiten gleich hinter der Stadt liefen, um zu Füßen der Johannisbrotbäume den Leguanen Fallen zu stellen, mit selbst gebastelten Schleudern Vögelchen zu jagen oder, versteckt im Gestrüpp und in den Dünen, den Wäscherinnen nachzuspähen, die ein Stück weiter, beim Wasserwerk, bis zur Hüfte in den Fluss stiegen. Unter den nassen Hemden waren manchmal ihre Brüste zu erkennen, und vorErregung gingen ihnen die Augen und die Hosenschlitze über. Wie kam es, dass Josefino sich ihnen anschloss? Er wusste nicht mehr, wie, wann und warum. Der Geier schloss sich ihnen jedenfalls an, als sie nicht mehr ganz so jung waren. Denn damals gingen sie bereits in die Chichakneipen und hauten die paar Sol, die sie sich mit Gelegenheitsarbeiten wie dem Verkauf von Pferdewetten verdienten, in Spielhöllen, auf Festen und bei Besäufnissen auf den Kopf. Vielleicht waren es keine Spinnen, aber etwas gemalt hatte Josefino, daran erinnerte er sich genau, ob er sich unterhielt, sang oder über einer Schandtat brütete. Die Erinnerung trog ihn nicht, vielleicht malte er Kröten, Schlangen, Pimmel. Die Zweifel wurden immer lauter. Auf einmal waren es die Kreuze und Kreise beim Drei gewinnt oder Karikaturen der Menschen, die sie in der kleinen Bar der Chunga sahen, wo sie immer am liebsten hingingen. Die Chunga chunguita! Ob es sie noch gab? Unmöglich. Wenn sie noch lebte, wäre sie so alt, dass sie körperlich nicht mehr in der Lage wäre, eine Bar zu bewirtschaften. Obwohl, wer weiß. Sie hatte Haare auf den Zähnen, hatte vor nichts Angst, bot den Betrunkenen die Stirn. Einmal machte sie sogar Josefino zur Schnecke, als der über sie witzelte.
    Die Unbezwingbaren! Die Chunga! Meine Güte, wie die Zeit verging. Vielleicht waren Josefino, Bonifacia und die Leóns schon unter der Erde, und was von ihnen blieb, war nichts als die Erinnerung. Ein Trauerspiel.
    Er ging fast im Dunkeln, da die Straßenbeleuchtung, nachdem er den Club Grau hinter sich gelassen hatte und in das Wohnviertel Buenos Aires kam, immer spärlicher und trüber wurde. Er ging langsam, stolperte über die Löcher im Asphalt, zwischen Häusern, die zunächst noch Gärten hatten und zweigeschossig waren, dann immer niedriger und ärmlicher. Je näher er seiner Pension kam, desto einfacher wurden die Häuser, Hütten nur noch, mit Wänden aus Lehmziegeln und Decken aus Wellblech über Stöcken vom Johannisbrotbaum, errichtet an Straßen ohne Bürgersteig, über die kaum Autos fuhren.
    Als er, nachdem er viele Jahre in Lima und im Hochlandgedient hatte, nach Piura zurückkehrte, bezog er ein kleines Zimmer in der Militärsiedlung, wo auch die einfachen Polizisten wohnen durften, genau wie die Soldaten. Aber er mochte diese allzu große

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