Ein diskreter Held
geworden, mit geraden und parallelen Straßen. Nichts ähnelte mehr seinen Erinnerungen. Das Viertel hatte sich hergerichtet, war nun anonym und nichtssagend. Aber die Calle Morropón gab es noch, auch die Nummer 17. Nur dass er statt des Häuschens seiner Cousins eine große Autowerkstatt vorfand. Auf einem Schild stand: »Ersatzteilverkauf für Pkws, Lkws und Busse aller Marken«. Er trat in die dunkle Halle, wo es nach Schmierfett roch, und sah halb zusammengebaute Karosserien, hörte das Geräusch von Schweißarbeiten, bemerkte ein paar Arbeiter in blauen Overalls, die sich über Motoren beugten. Ein Radio spielte Musik aus der Selva, La Contamanina. Er ging in ein Büro, wo ein Ventilator surrte. Vor einem Computer saß eine junge Frau.
»Tag«, sagte Lituma und nahm die Mütze ab.
»Womit kann ich dienen?« Sie schaute ihn mit dieser leisen Unruhe an, mit der die Leute den Polizisten meist begegneten.
»Ich stelle Nachforschungen an zu einer Familie, die hier gewohnt hat«, erklärte Lituma und deutete auf die Halle. »Als das noch keine Werkstatt war, sondern das Haus einer Familie. Sie hieß León.«
»Soweit ich mich erinnere, war das immer eine Autowerkstatt«, sagte das Mädchen.
»Sie sind noch sehr jung, Sie können sich nicht erinnern«, erwiderte Lituma. »Aber vielleicht weiß der Besitzer etwas.«
»Wenn Sie möchten, können Sie warten«, das Mädchen deutete auf einen Stuhl. Und plötzlich erhellte sich ihr Gesicht: »Ach, ich bin ja dumm. Klar! Der Besitzer der Werkstatt heißt ja León. Don José León. Vielleicht kann der Ihnen helfen.«
Lituma ließ sich auf den Stuhl fallen. Sein Herz pochte. Don José León. Nicht zu fassen. Er war es, sein Cousin José. Es musste der Unbezwingbare sein. Wer sonst.
Er war so aufgewühlt, dass ihm die Nerven flatterten, während er wartete. Die Minuten kamen ihm unendlich vor. Als der unbezwingbare José León schließlich in der Werkstatt erschien, hatte er ihn, auch wenn er jetzt ein korpulenter Mann mit Bauch und grauen Strähnen in seinem lichten Haar war und sich kleidete wie einer von den Weißen, mit Jackett, Kragenhemd und blitzblanken Schuhen, auf der Stelle erkannt. Er stand gerührt auf und breitete die Arme aus. José erkannte ihn nicht, er trat nur verwundert an ihn heran, besah ihn sich.
»Du weißt nicht, wer ich bin, stimmt’s, Cousin?«, sagte Lituma. »Habe ich mich so verändert?«
Josés Gesicht dehnte sich zu einem breiten Lächeln.
»Das glaube ich nicht!«, rief er und breitete ebenfalls die Arme aus. »Lituma! Was für eine Überraschung, Bruder. Nach so vielen Jahren, che guá .«
Sie umarmten und tätschelten sich, vor den verdutzten Augen der Sekretärin und der Arbeiter. Sie musterten einander, strahlten.
»Hast du Zeit für ein Käffchen, Cousin?«, fragte Lituma. »Oder ist es dir lieber, wenn wir uns später treffen, oder morgen?«
»Ich erledige nur eben zwei, drei Sachen, und dann erinnern wir uns an die Zeiten der Unbezwingbaren.« José klopfte ihm noch einmal auf die Schulter. »Setz dich, Lituma. Bin gleich frei. Was für eine Freude, Bruder.«
Lituma setzte sich wieder und sah, wie León am Schreibtisch Unterlagen durchging, etwas mit der Sekretärin in dicken Wälzern nachschlug, dann einen Rundgang durch die Werkstatt machte und die Arbeit der Autoschlosser inspizierte. Ihm fiel auf, wie selbstsicher er Anweisungen gab und wie unbefangen er Fragen beantwortete. Wer hätte das gedacht, Cousin, dachte er. Es kostete ihn einige Mühe, den abgerissenen José aus seiner Jugend, der barfuß zwischen den Ziegen und Eseln in der Mangachería herumlief, in diesem weißen Besitzer einer großen Autowerkstatt wiederzuerkennen, der zur Mittagszeit in Anzug und Sonntagsschuhen herumlief.
Sie gingen, Lituma bei José untergehakt, in ein Café-Restaurant namens Piura Linda. Sein Cousin sagte, die Begegnung müsse man feiern, und bestellte Bier. Sie stießen auf die vergangenen Zeiten an und tauschten eine ganze Weile wehmütig ihre Erinnerungen aus. Äffchen war zunächst Josés Partner in der Werkstatt gewesen, aber dann hatten sie Meinungsverschiedenheiten, und er zog sich aus dem Geschäft zurück, auch wenn die beiden Brüder immer sehr zusammenhielten und sich oft sahen. Äffchen war verheiratet und hatte drei Kinder. Er arbeitete ein paar Jahre in der Gemeindeverwaltung, dann machte er eine Ziegelfabrik auf. Es ging ihm gut, er bekam Aufträge von vielen Bauunternehmen in Piura, vor allem jetzt, wo die Wirtschaft
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