Ein diskreter Held
sprechen soll«, sagte der Priester nur trocken. »Dann bis Samstag, Öhrchen.«
Pater O’Donovan war gewiss der einzige Geistliche, der sich weder mit dem Bus noch mit dem Sammeltaxi durch das weite Lima bewegte, sondern mit dem Fahrrad. Er sagte, es sei der einzige Sport, den er treibe, das aber so eifrig, dass es ihn körperlich ausgesprochen fit halte. Außerdem radelte er einfach gern. Dabei konnte er nachdenken, seine Predigten vorbereiten, Briefe formulieren, die Aufgaben des Tages planen. Natürlich musste er die ganze Zeit wachsam sein, vor allem an den Straßenecken und den Ampeln, die in dieser Stadt niemand beachte, wo es den Autofahrern mehr darum getan sei, die Fußgänger und die Radfahrer zu überfahren als ihr Fahrzeug heil ans Ziel zu bringen. Trotzdem, sagte er, habe er Glück gehabt, denn in den mehr als zwanzig Jahren, die er auf zwei Rädern die ganze Stadt bereise, habe man ihn nur einmal angefahren, ohne schlimmere Folgen, und nur einmal sei sein Rad gestohlen worden. Eine ausgezeichnete Bilanz!
Am Samstag gegen Mittag sahen Rigoberto und Lucrecia, die von der Terrasse ihres Penthouse hinunterspähten, wie Pater O’Donovan über den Malecón Paul Harris herbeigestrampelt kam. Ihnen fiel ein Stein vom Herzen. Es war ihnen so merkwürdig vorgekommen, dass der Geistliche ein Treffen immer wieder hinausgezögert hatte, dass sie schon fürchteten, er würde sich im letzten Moment entschuldigen. Was konnte passiert sein, dass er sich so zierte, ihnen von dem Gespräch mit Fonchito zu berichten?
Justiniana fuhr hinunter, um dem Pförtner zu sagen, er möge Pater O’Donovan erlauben, sein Rad ins Haus zu stellen, damit es vor Dieben sicher war, und begleitete ihn im Aufzug hinauf.Pepín umarmte Rigoberto, gab Lucrecia einen Wangenkuss und bat um Erlaubnis, ins Bad zu gehen, um sich die Hände und das Gesicht zu waschen, denn er war ganz verschwitzt.
»Wie lange hast du gebraucht von Bajo el Puente bis nach Barranco?«, fragte ihn Lucrecia.
»Nicht mal eine halbe Stunde«, sagte er. »Bei den Staus ist man heute in Lima mit dem Fahrrad schneller als mit dem Auto.«
Als Aperitif bat er um einen Fruchtsaft, schaute sie beide abwechselnd an und lächelte.
»Ich kann mir denken, dass ihr sauer auf mich seid, weil ich euch nicht erzählt habe, wie es war«, sagte er.
»Ja, Pepín, stinksauer, um genau zu sein. Du weißt, wie besorgt wir sind. Du bist ein Sadist.«
»Wie war es denn nun?«, wollte Lucrecia wissen. »Hat er dir offen geantwortet? Hat er dir alles erzählt? Was denkst du?«
Pater O’Donovan atmete tief durch. So wie seine Lungen rasselten, musste diese halbe Stunde auf dem Rad ihn mehr erschöpft haben, als er zugeben wollte. Er machte eine lange Pause.
»Soll ich euch etwas verraten?« Er schaute sie ernst an, eine so betrübte wie herausfordernde Miene. »Ehrlich gesagt, ich fühle mich alles andere als wohl jetzt.«
»Mir geht es genauso, Pater«, sagte Fonchito. »Wir müssen das Gespräch auch gar nicht führen. Ich weiß genau, dass Papa wegen mir ganz zappelig ist. Wenn Sie möchten, tun Sie, was Sie zu tun haben, und geben Sie mir so lange eine Zeitschrift, von mir aus auch eine religiöse. Danach sagen wir Papa und meiner Stiefmutter, wir hätten miteinander gesprochen, und Sie denken sich irgendwas aus, um sie zu beruhigen. Und fertig.«
»Sieh einer an«, sagte Pater O’Donovan. »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, Fonchito. Weißt du, dass dein Vater, als er so alt war wie du, in der Schule ein großer Schwindler war?«
»Hast du mit ihm sprechen können?«, fragte Rigoberto,ohne seine Unruhe zu verbergen. »Hat er sich dir gegenüber geöffnet?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht«, sagte Pater O’Donovan. »Der Junge ist wie Quecksilber, die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, ich bekomme ihn nicht zu fassen. Aber nur die Ruhe. Zumindest in einem bin ich mir sicher. Er ist nicht verrückt, fantasiert nicht, nimmt euch nicht auf den Arm. Er schien mir das gesündeste und ausgeglichenste Geschöpf der Welt zu sein. Diese Psychologin hat euch die reine Wahrheit gesagt: Er hat keinerlei psychisches Problem. Soweit ich es beurteilen kann, klar, ich bin weder Psychiater noch Psychologe.«
»Aber was ist dann mit diesen Erscheinungen«, unterbrach ihn Lucrecia, »hast du etwas herausbekommen? Gibt es Edilberto Torres oder gibt es ihn nicht?«
»Auch wenn ›normal‹ vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist«, fuhr Pater O’Donovan fort und wich der Frage
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