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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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der Universität unterrichtet, nur als Beispiel, Pepín? Wenn es jemanden gab unter seinen Bekannten, der eine klare intellektuelle Berufung zu haben schien, eine Leidenschaft für die Ideen, dann du, Pepín.
    »Wo man mich am meisten braucht, ist in meiner Gemeinde in Bajo el Puente«, sagte Pepín O’Donovan nur achselzuckend. »Woran es fehlt, sind Seelsorger. Intellektuelle gibt es eher mehr als genug, Öhrchen. Du irrst dich, wenn du glaubst, ich müsste mich dazu überwinden. Die Arbeit in der Gemeinde beflügelt mich, das ist das wirkliche Leben. In den Bibliotheken sondert man sich manchmal zu sehr von der Alltagswelt ab, von den Menschen. Ich glaube nicht an deine Inseln der Kultur, die einen von den anderen entfernen und zu einem Einsiedler machen, das haben wir oft genug diskutiert.«
    Dass er ein Geistlicher war, war ihm kaum anzumerken, denn seinem alten Schulkameraden gegenüber sprach er religiöse Themen nie an; er wusste, dass Rigoberto in den Jahren auf der Universität seinen Glauben abgelegt hatte, und mit einem Agnostiker zu verkehren schien ihn nicht im Mindesten zu stören. Die seltenen Male, die er zum Mittagessen nach Barranco kam, zogen er und Rigoberto sich nachher ins Arbeitszimmer zurück und legten eine CD ein, meist Bach, für dessen Orgelmusik Pepín O’Donovan eine Vorliebe hatte.
    »Ich war überzeugt davon, dass er sich alle diese Erscheinungen bloß ausgedacht hat«, fuhr Rigoberto fort. »Aber die Psychologin, zu der Fonchito ging, Doktor Augusta Delmira Céspedes, du hast bestimmt von ihr gehört, anscheinend ist sie sehr bekannt, die hat mich wieder zweifeln lassen. Sie sagte Lucrecia und mir sehr bestimmt, dass Fonchito nicht lügt, dass er die Wahrheit sagt. Dass es Edilberto Torres gibt. Wir waren ziemlich verwirrt, wie du dir denken kannst.«
    Rigoberto erzählte Pater O’Donovan, dass Lucrecia und er nach langem Zögern beschlossen hatten, sich nach einer speziellen Agentur umzuschauen – »So eine, die eifersüchtige Männer beauftragen, um ihren unartigen Ehefrauen nachzuspionieren?«, scherzte der Pfarrer, und Rigoberto: »Genau so eine« –, damit sie eine Woche lang Fonchito, wann immer er vor die Tür ging, allein oder mit Freunden, auf Schritt und Tritt folgte. Der Bericht der Agentur – »die mich, nebenbei gesagt, eine Stange Geld gekostet hat« – war sehr beredt gewesen: Zu keinem Zeitpunkt, nirgendwo, hatte der Junge auch nur den geringsten Kontakt mit älteren Herren gehabt, nicht im Kino, nicht auf dem Fest der Familie Argüelles, nicht auf dem Schulweg und auch nicht bei seinem kurzen Besuch, zusammen mit seinem Freund Pezzuolo, in einer Diskothek von San Isidro. Gleichwohl hatte Fonchito in dieser Diskothek, als er zum Pinkeln aufs Klo ging, eine unerwartete Begegnung: Dort stand der besagte Herr und wusch sich die Hände (wovon in dem Bericht der Agentur natürlich nichts stand).
    »Hallo, Fonchito«, sagte Edilberto Torres.
    »In der Diskothek?«, fragte Rigoberto.
    »Auf der Toilette der Diskothek, Papa«, antwortete Fonchito. Er sprach selbstsicher, aber es schien, als wäre ihm die Zunge schwer, als kostete ihn jedes Wort große Mühe.
    »Du amüsiert dich hier, mit deinem Freund Pezzuolo?« Der Herr schien untröstlich. Er trocknete sich jetzt die Hände, mit einem Stück Papier, das er von einem kleinen Kasten an der Wand gerissen hatte. Wie schon andere Male trug er einen violetten Pulli, aber keinen grauen Anzug, sondern einen blauen.
    »Warum weinen Sie denn?«, fragte Fonchito zögerlich.
    »Edilberto Torres hat auch dort geweint, auf der Toilette einer Diskothek?«, grummelte Rigoberto. »Wie an dem Tag, als du ihn im Kino des Larcomar gesehen hast, als er neben dir saß?«
    »Im Kino war es dunkel, vielleicht habe ich mich geirrt«, sagte Fonchito sofort. »Auf der Toilette der Diskothek nicht. Es war sehr hell dort. Er hat geweint. Die Tränen liefen ihm übers Gesicht. Es war, es war, ich weiß nicht, wie ich sagen soll, Papa. Traurig, unglaublich traurig, das schwöre ich. Ihn so still weinen zu sehen, ohne ein Wort, und wie er mich betrübt ansah. Er muss sehr gelitten haben, ich habe mich richtig schlecht gefühlt.«
    »Entschuldigen Sie, Señor, aber ich muss gehen«, stammelte Fonchito. »Mein Freund Stups wartet draußen auf mich. Mir wird ganz anders, wenn ich Sie so weinen sehe.«
    »Du siehst also, Pepín, man muss die Sache ernst nehmen«, schloss Rigoberto. »Erzählt er uns ein Märchen? Fantasiert er? Hat er Visionen? Wenn

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