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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gesunken, Pepín?«
    »Natürlich spreche ich nicht von Wundern, Öhrchen, und Fonchito auch nicht«, sagte der Priester nicht minder gereizt. »Ich weiß nur einfach nicht, wie ich es nennen soll. Der Junge macht eine sehr besondere Erfahrung. Eine Erfahrung, die ich, da du sowieso nicht weißt, was das ist, und es auch nicht wissen willst, keine religiöse nennen will, sondern lieber, einigen wir uns auf das Wort: eine spirituelle. Ein intensives, überscharfes Empfinden. Etwas, was nur indirekt mit der materiellen und rationalen Welt zu tun hat, in der wir uns bewegen. Edilberto Torres ist für ihn das Inbild des menschlichen Leidens. Ich weiß, du verstehst mich nicht. Deshalb hatte ich eine solche Angst, euch von meinem Gespräch mit Fonchito zu berichten.«
    »Eine spirituelle Erfahrung?«, fragte Lucrecia. »Was heißt das genau? Kannst du es uns erklären, Pepín?«
    »Das heißt, dass ihm der Teufel erscheint, und der nennt sich Edilberto Torres und ist Peruaner«, fasste Rigoberto verärgert zusammen. »Im Grunde ist es das, was du uns sagen willst. Tschuldige, aber so faseln wundergläubige Priesterlein, Pepín.«
    »Das Essen steht auf dem Tisch.« Im rechten Moment stand Justiniana in der Tür. »Sie können Platz nehmen, wenn Sie möchten.«
    »Am Anfang hat es mich nicht gestört, nur überrascht«, sagte Fonchito. »Jetzt aber schon. Auch wenn stören nicht das richtige Wort ist, Pater. Es beklemmt mich, mir geht es nicht gut dabei, ich werde traurig. Sobald ich ihn weinen sehe, komisch, nicht? Die ersten Male hat er nicht geweint, er wollte sich nur unterhalten. Er sagt mir zwar nicht, warum er weint, aber ich spüre, er weint wegen allem Schlechten auf der Welt. Auch meinetwegen. Und das tut mir am meisten weh.«
    Eine ganze Weile war es still, und schließlich sagte Pater O’Donovan, die Krebse seien köstlich, man schmecke, dass sie vom Río Majes kämen. Galt es Lucrecia zu beglückwünschen für diese Delikatesse oder Justiniana?
    »Weder noch, sondern die Köchin«, antwortete Lucrecia. »Sie heißt Natividad und ist aus Arequipa, woher auch sonst.«
    »Wann hast du den Herrn denn zum letzten Mal gesehen?«, fragte der Priester, nun ganz bescheiden. Alle Zuversicht und Selbstsicherheit, die er bisher an den Tag gelegt hatte, war von ihm gewichen, er schien nervös zu sein.
    »Gestern, auf der Seufzerbrücke in Barranco, Pater«, antwortete Fonchito sofort. »Ich ging gerade über die Brücke, in der Nähe waren noch drei andere Leute, glaube ich. Und auf einmal war er da. Er saß auf dem Geländer.«
    »Und hat wieder geweint?«, fragte Pater O’Donovan.
    »Ich habe ihn nur kurz gesehen. Ich bin nicht stehen geblieben, sondern schnell weitergegangen«, sagte der Junge. Er sah erschrocken aus. »Ich weiß nicht, ob er geweint hat. Aberer hatte dieses traurige Gesicht. Ich weiß nicht, wie ich sagen soll, Pater, aber eine solche Traurigkeit wie bei dem Herrn Torres habe ich noch nie gesehen, das schwöre ich. Es ist ansteckend, danach bin ich völlig aufgelöst und selber todtraurig, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich wüsste gerne, warum er weint. Was ich seiner Meinung nach tun soll. Manchmal sage ich mir, dass er wegen all der Menschen weint, die leiden. Wegen der Kranken, der Blinden, der Bettler auf den Straßen. Na ja, jedenfalls gehen mir immer viele Sachen durch den Kopf, wenn ich ihn sehe. Nur weiß ich nicht, wie ich es erklären soll, Pater.«
    »Du erklärst es sehr gut, Fonchito«, sagte Pater O’Donovan. »Mach dir deshalb keine Sorgen.«
    »Aber was sollen wir jetzt tun?«, fragte Lucrecia.
    »Gib uns einen Rat, Pepín«, bat auch Rigoberto. »Ich bin wie gelähmt. Wenn es ist, wie du sagst, hat der Junge eine Art Gabe, eine Hypersensibilität, er sieht, was niemand sieht. Ist doch so, oder? Soll ich mit ihm sprechen? Soll ich schweigen? Es beunruhigt mich, erschreckt mich. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Sei einfach lieb zu ihm und lass ihn in Ruhe«, sagte Pater O’Donovan. »Sicher ist, dass dieser Torres, ob es ihn gibt oder nicht, kein Perverser ist und deinem Sohn auch nicht das Geringste antun will. Und ob es ihn gibt oder nicht, es hat mehr mit der Seele zu tun, oder mit dem Geist, wenn dir das lieber ist, als mit Fonchitos Körper.«
    »Mit Mystik?«, fragte Lucrecia. »Ist es vielleicht das? Aber Fonchito war nie besonders religiös. Eher im Gegenteil, würde ich sagen.«
    »Ich wünschte, ich könnte klarer sein, aber ich kann nicht«, gestand Pater

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