Ein diskreter Held
Woche ihrer Entführung folgten, hatte Felícito sich so unglaublich liebevoll und aufmerksam gezeigt, dass es Mabel schon fast zu viel wurde. Sie erhielt einen großen Strauß roter Rosen, eingeschlagen in Cellophan, mit einem eigenhändig geschriebenen Kärtchen, auf dem stand: »Mit all meiner Liebe und tiefbetrübt über die harte Prüfung, die ich dir, allerliebste Mabelita, aufgebürdet habe, schickt dir diese Blumen der Mann, der dich anbetet: Dein Felícito.« Es war der größte Blumenstrauß, den sie in ihrem Leben gesehen hatte. Als sie die Karte las, bekam sie feuchte Augen und klamme Hände, was ihr sonst nur bei Albträumen passierte. Sollte sie sein Angebot annehmen und Piura verlassen, bis diese Geschichte vorbei war? Sie zweifelte. Mehr als ein Angebot war es eine Aufforderung gewesen. Felícito hatte Angst, er glaubte, man könne ihr etwas antun, und er flehte sie an, nach Trujillo zu fahren, nach Chiclayo, nach Lima, vielleicht wollte sie ja auch Cusco mal kennenlernen, wohin auch immer, Hauptsache, weit weg von den verdammten Erpressern mit der Spinne. Er versprach ihr goldene Berge: Es würde ihr an nichts fehlen, jeder Komfort würde ihr auf der Reise zuteil. Aber sie konnte sich nicht entschließen. Nicht weil sie keine Angst gehabt hätte, ganz und gar nicht. Angst war etwas, was Mabel, anders als so viele ängstliche Leute, die sie kannte, bereits kennengelernt hatte, als ihre Mutter einmal zum Markt gegangen war und ihr Stiefvater die Gelegenheit nutzte und in ihr Zimmer kam, sie aufs Bett warf und versuchte, sie auszuziehen. Sie wehrte sich, kratzte ihn und rannte, ein halb nacktes, schreiendes junges Mädchen, auf die Straße. Damals hatte sie allerdings erfahren, was es heißt, Angst zu haben. Danach hatte sie so etwas nicht wieder erlebt. Bis jetzt. Denn in diesen Tagen richtete sich die Angst erneut in ihrem Leben ein, eine tiefe, bodenlose, panische Angst. Vierundzwanzig Stunden am Tag. Bei Tag und bei Nacht, abends und morgens, schlafend oder wach. Nie wieder, dachte Mabel, würde sie die Angst los, bis zu ihrem Tod nicht. Wenn sie auf die Straße ging, hatte sie das unangenehme Gefühl, dass man sie beobachtete, und selbst wenn sie sich zu Hause einsperrte, fuhr sie immer wieder vor Schreck zusammen, dass ihr der Atem stockte und der Körper erstarrte. Sie dachte schon, dass ihr kein Blut mehr durch die Adern floss. Obwohl sie wusste, dass man sie beschützte, vielleicht aber auch genau deswegen. Aber war es so? Felícito hatte es ihr versichert, nach einem Gespräch mit Hauptmann Silva. Klar, vor ihrem Haus stand ein Polizist, und wenn sie hinausging, folgten ihr zwei in Zivil, ein Mann und eine Frau, unauffällig in einer gewissen Entfernung. Aber gerade diese Bewachung rund um die Uhr machte sie nur noch nervöser, auch die Bestimmtheit, mit der Hauptmann Silva vorgebracht hatte, die Entführer wären nicht so unvorsichtig und auch nicht so dumm, sie ein weiteres Mal zu überfallen, wo sie genau wüssten, dass die Polizei Tag und Nacht in ihrer Nähe sei. Trotzdem glaubte Felícito nicht, dass sie in Sicherheit wäre. Sobald die Entführer begriffen, dass er sie angelogen hatte, dass er die Anzeige in El Tiempo mit dem Dank für das Wunder des Gefangenen Christus von Ayabaca nur aufgegeben hatte, damit sie sie freiließen, und dass er gar nicht daran dachte, das Schutzgeld zu zahlen – sobald sie das begriffen, würden sie durchdrehen und sich an einem ihm nahestehenden Menschen rächen. Und da sie so viel von ihm wüssten, wäre ihnen auch bekannt, dass der Mensch, der Felícito auf der Welt am allernächsten stehe, Mabel sei. Sie solle aus Piura fortgehen, für eine kleine Weile verschwinden, er würde es sich nie verzeihen, wenn diese Kanaillen ihr noch einmal etwas antäten.
Mabel spürte, wie ihr das Herz davonsprang, und schwieg still. Über den Köpfen der beiden Polizisten, zu Füßen des Herzen Jesu, sah sie ihr Gesicht im Spiegel und war erschrocken, wie blass sie war. Sie war so weiß wie eins dieser Gespenster in einem Horrorfilm.
»Kein Grund, nervös zu werden oder Angst zu haben, ich möchte Sie nur bitten, mir zuzuhören«, sagte Hauptmann Silva nach einer längeren Pause. Er sprach sanft, senkte die Stimme, als wollte er ihr ein Geheimnis anvertrauen. »Denn auch wenn es nicht so aussieht, aber dieser außerdienstliche Besuch, außerdienstlich, das möchte ich betonen, ist zu Ihrem Wohl.«
»Dann sagen Sie mir, was los ist, worum es geht«, sagte Mabel
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