Ein diskreter Held
habe ich durch Vignolo erfahren. Sollen sie. Ich kritisiere sie nicht. Jeder weiß, was er tut und wie er seine Interessen verteidigt. Aber ich bin nicht wie sie, Mabel. Ich kann so etwas nicht. Ich kann nicht das Andenken meines Vaters verraten.«
Und dann erzählte er, vor einer erstaunten Mabel, mit Tränen in den Augen von seinem Vater. Nie in den Jahren, die sie zusammen waren, hatte sie ihn auf diese innige Weise von dem alten Herrn sprechen hören. Tief ergriffen, voll Zartgefühl, so wie er ihr im Schummerlicht schöne Dinge sagte, während er sie streichelte. Er war ein Mann vom Lande gewesen, aus sehr bescheidenen Verhältnissen, ein Yanacón aus Chulucanas, und später dann, in Piura, ein Lastenträger, ein städtischer Müllmann. Nie hatte er lesen und schreiben gelernt, und sein Leben lang war er barfuß gelaufen, was man merkte, als sie, damit Felícito zur Schule gehen konnte, in die Stadt zogen. Damusste er sich nämlich Schuhe anziehen, und man konnte sehen, wie komisch er sich beim Laufen fühlte und dass ihm die Füße wehtaten von den Schuhen. Er war kein Mann, der seine Gefühle zeigte und seinen Sohn umarmte oder ihm einen Kuss gab, er sagte auch nichts Nettes zu ihm, wie Väter es so zu ihren Kindern sagen. Er war streng, hart, und seine Hand saß locker, wenn er wütend war. Aber er hatte ihm gezeigt, dass er ihn liebte, denn er hatte ihn auf die Schule geschickt, gekleidet, genährt, auch wenn er selber nichts zu beißen hatte und nicht wusste, was er anziehen sollte, hatte ihm die Fahrschule bezahlt, damit Felícito seinen Führerschein bekam. Dank diesem analphabetischen Yanacón gab es Transportes Narihualá. Sein Vater war vielleicht arm, aber eine aufrechte Seele und deshalb ein großer Mensch, denn nie tat er jemandem etwas an, übertrat kein Gesetz, war auch nicht böse auf die Frau, die ihn mit einem Baby alleingelassen hatte. Wenn die Sache mit der Sünde und dem Bösen und einem Leben nach dem Tod stimmte, musste er jetzt im Himmel sein. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, etwas Schlechtes zu tun, denn sein Leben lang arbeitete er wie ein Tier, hatte die am schlechtesten bezahlten Jobs. Felícito erinnerte sich, wie er abends tot vor Müdigkeit umfiel. Aber nie, das ganz sicher, ließ er zu, dass wer auch immer ihn herumschubste. Für ihn war es das, was darüber entschied, ob ein Mann etwas taugte oder ein Nichts war. Und diesen Rat hatte er ihm auch gegeben, bevor er starb, in einem Bett ohne Matratze im Hospital Obrero: »Lass dich niemals von irgendwem herumschubsen, mein Junge.« Felícito hatte den Rat dieses Vaters befolgt, den er mangels Geld weder in einer Grabnische bestatten noch vor dem Massengrab bewahren konnte.
»Siehst du, Mabel? Es sind nicht die fünfhundert Dollar, die die Mafia von mir verlangt. Darum geht es nicht. Wenn ich sie ihnen gäbe, würden sie mich rumschubsen, und ich wäre ein Nichts im Leben. Sag mir, dass du das verstehst, Liebling.«
Mabel hatte es nicht ganz verstanden, aber seine Worte beeindruckten sie. Erst jetzt, wo sie so lange mit ihm zusammenwar, wurde ihr bewusst, dass unter der Schale eines mickrigen Männleins, so dünn, so klein, ein Felícito mit festem Charakter und eisernem Willen steckte. Ja, eher würde er sich umbringen lassen als einzuknicken.
»Halt den Mund und setz dich«, ranzte der Offizier sie an, und Mabel hielt den Mund und sackte wieder in den Sessel. » Noch brauchst du keinen Anwalt. Noch bist du nicht verhaftet. Noch verhören wir dich nicht. Das ist ein freundschaftliches und vertrauliches Gespräch, ich sagte es bereits. Und es wäre besser, wenn du das endlich kapierst. Also lass mich sprechen, Mabelita, und versuch gut aufzunehmen, was ich dir jetzt sage.«
Doch bevor er fortfuhr, nahm er einen weiteren langen Zug an seiner Zigarette und stieß den Rauch, sich kringelnd, langsam aus. Der will mich quälen, dachte Mabel, deshalb ist er hergekommen. Sie fühlte sich erschöpft, müde, als würde sie jeden Moment einschlafen. Etwas vorgebeugt, wie um nicht eine Silbe seines Chefs verpassen, sprach Sergeant Lituma kein Wort und rührte sich nicht. Auch wandte er den Blick nicht eine Sekunde von ihm.
»Die Anschuldigungen wiegen schwer«, sagte der Hauptmann und schaute ihr in die Augen, als wollte er sie hypnotisieren. »Du wolltest uns weismachen, du wärst entführt worden, aber das alles war eine Finte, ausgeheckt von dir und deinem Spießgesellen, um Druck auszuüben auf Don Felícito, den Herrn, der so
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