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Ein Drama für Jack Taylor

Ein Drama für Jack Taylor

Titel: Ein Drama für Jack Taylor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Bruen
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ein ganzer Haufen neuer Länder konnte der Europäischen Union beitreten. In der Shop Street lächelten die Immigranten und sagten: »Hallo.« Normalerweise hielten sie den Kopf gesenkt, sahen ernsthaft deprimiert aus. Ich hatte immer das Wetter dafür verantwortlich gemacht.
    Ich war dabei, meiner Mutter einen Besuch abzustatten. Ich machte bei Griffin’s Bäckerei halt und kaufte einen Apfelkuchen. Wie immer gab es eine Warteschlange. Ein Mann sagte:
    »Der Sniper von Washington hat wieder zugeschlagen.«
    Wilde Spekulationen, und bald, nach irischem Brauch, kam die Rede wieder auf die Politik. Eine Frau sagte:
    »Der Vertrag von Nizza, der wird unsere Neutralität beschädigen.«
    Eine andere ältere Frau, die bisher still geblieben war, sagte, mit einer Note der Wehmut in der Stimme:
    »Diese ›Nizza‹-Kekse, die hatten noch Biss.«
    Grattan Road war immer schon die arme Verwandte von Salthill. Einen Strand gibt es da zwar auch, aber die Kanalisation ist gefährlich nah. Selbst am sonnigsten Tag hängt etwas Graues über der Szenerie. Das Pflegeheim war in einer abgelegenen Straße, weit vom Meer entfernt. Ich musste nach dem Weg fragen. Ein älterer Mann mit Schiebermütze saß auf einer Bank und plierte den Horizont an. Als ich ihn ansprach, dachte ich, er hätte mich nicht gehört, und wollte mich gerade wiederholen, da räusperte er sich und spuckte einen Riesenqualster bedenklich dicht neben meinen Schuh. Er sagte:
    »Da wollen Sie gar nicht hin, Sohn.«
    Sohn!
    Die stets präsente Wut, die kontinuierlich köchelte, kam beinah hoch. Ich wollte rufen:
    »Hör zu, du dösiger Olm, die Erde hat sich weitergedreht.«
    Er sah mich an, das Weiße seiner Augen teilweise gelbstichig. Seine Nase schien kollabiert zu sein. Er fragte:
    »Wissen Sie, wie alt ich bin?«
    Als wäre mir das nicht so was von scheißegal. Ich sagte:
    »Ich habe keine Ahnung.«
    Er räusperte sich, und ich wich aus, aber der Qualster blieb, wo er war. Oder er hatte gar keinen mehr parat. Er nahm mir das Antworten ab.
    »Zu verdammt alt, so alt bin ich. Ich wohne bei meiner Tochter, sie hasst mich, ich kann den ganzen Tag nicht nach Hause. Wissen Sie, wie schwer es ist, die Zeit totzuschlagen?«
    Ich wusste es.
    Dann ließ er den Arm hervorschießen, ausgefranste Manschetten unter karierter Jacke und … Manschettenknöpfe. Wie alt ist das denn? Er zeigte mit dem Finger und krächzte:
    »Die Pennbude, die Sie suchen, ist da drüben, zweite rechts.«
    »Danke.«
    Ich hatte ein Bedürfnis, die Hand auszustrecken, seine knochige Schulter zu berühren, irgendwie Trost zu spenden. Doch mit welcher Lüge konnte ich aufwarten? Ich stellte den Apfelkuchen neben ihm auf die Bank, aber er ignorierte ihn.
    Er fragte:
    »Sie haben einen Angehörigen in dem Loch?«
    »Meine Mutter.«
    Er nickte, als hätte er all die schrecklichen Geschichten längst gehört. Ich wandte mich zum Gehen, und er sagte:
    »Sohn.«
    »Ja?«
    »Wollen Sie Ihrer Mutter einen Gefallen tun?«
    Wollte ich das?
    Versuchte es mit:
    »Ja.«
    »Drücken Sie ihr ein Kissen aufs Gesicht.«

I ch hatte buchstäblich Tausende von Menschen kennengelernt, und das ist bereits inklusive irischer Übertreibung. In meinen Jahren bei der Polizei traf ich jede Art von
    Betrüger
    Schwindler
    Schurke
    Schuft.
    Und in den Jahren danach traf ich die
    Traurigen
    Einsamen
    Depressiven
    Entmutigten.
    Aber wenige gingen mir so nah wie dieser alte Mann. Ein Lied regte sich in meinem Gedächtnis, eine frühe Emmylou, da plärrt sie, lamentiert sie: »A River for Him«.
    Wenn Johnny Duhan der Liedtext meines Lebens war, dann war sie die Melodie. Als ich mich dem Pflegeheim näherte, sank mir das Herz wohin. Es waren die Vorhänge am Vorderfenster. Sie hingen an einer abgefallenen Schiene und waren von einem stumpfen Braun. Als Mann erwartet man von mir nicht, dass ich registrierte, ob sie sauber waren.
    Ich registrierte es aber doch. Sie starrten. Mich an und vor Schmutz. Der Name, St Jude’s, stand an der Tür. Das J war verschwunden, weshalb da stand:
    »St ude’s«.
    Der Schutzheilige für hoffnungslose Fälle, genau. Ich klingelte, hörte, wie Schlüssel umgedreht wurden. Der Klang war dem im Mountjoy bemerkenswert ähnlich. Eine Frau mittleren Alters öffnete, fragte:
    »Ja?«
    Knapp.
    Sie hatte den ernstlichen Gesichtsausdruck mit Löffeln gefressen. Wenn je dringend eine Domina gesucht wurde, hier war sie. Als wäre sie geradewegs von ihrer vorherigen Inkarnation als Aufpasserin in der Wäscherei

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