Ein Drama in Livland
Polizeipatrouillen des betreffenden Gebietes waren beauftragt worden, Dimitri Nicolef zu verhaften, wo sie ihn auch fänden.
Dadurch war die Nachricht am Nachmittage des 16. auch nach Dorpat gekommen. Karl Johausen hatte sie als einer der ersten erhalten, und wir wissen ja schon, welche Antwort er Jean Nicolef in Gegenwart von dessen Universitätsfreunden erteilt hatte.
Zehntes Kapitel.
Das Verhör.
Dimitri Nicolef kehrte in der Nacht vom 16. zum 17. nach Riga zurück, ohne auf dem Heimwege erkannt worden zu sein.
Von Unruhe verzehrt, hatte Ilka kein Auge zutun können. Welche Seelenqual hätte aber erst das unglückliche junge Mädchen gepeinigt, wenn es vernommen hätte, welche Beschuldigung auf dem Haupte ihres Vaters lastete.
Eine weitere Sorge bereitete ihr noch am Abend, als Delaporte und der Doktor Hamine schon weggegangen waren, eine aus Dorpat eingetroffene Depesche, die die Ankunft Jean Nicolefs für den nächsten Tag anmeldete, ohne die Veranlassung zu dieser urplötzlichen Reise anzugeben.
Der erdrückendste Alp wich jedoch von Ilkas Brust, als sie gegen drei Uhr morgens ihren Vater die Treppe herauskommen hörte. Da er nicht an ihre Tür klopfte, hielt sie es für ratsamer, ihn ruhig sich niederlegen zu lassen, da er von der Reise wohl angestrengt sein mochte. Am Morgen wollte sie ihn begrüßen, sobald er aufgestanden wäre. Vielleicht sagte er ihr dann, was ihn genötigt hatte, so übereilt und ohne jede nähere Mitteilung zu verreisen.
Vater und Tochter trafen am nächsten Tage schon in früher Morgenstunde zusammen, und jetzt begann Dimitri Nicolef zuerst:
»Da siehst du mich wieder zurück, liebes Kind. Meine Abwesenheit hat etwas länger gedauert, als ich voraussetzte… doch nur vierundzwanzig Stunden…
– Du scheinst aber angegriffen zu sein, lieber Vater, bemerkte Ilka.
– Ein wenig; doch lass’ mich nur den Vormittag noch etwas ausruhen, dann bin ich wieder ganz wohlauf, und ich denke am Nachmittage auch noch einige Stunden zu erteilen.
– Vielleicht, Papa, wäre es besser, das bis morgen zu verschieben. Deine Schüler sind benachrichtigt.
– Nein, Ilka, nein!… Länger darf ich sie nicht warten lassen. Ist während meiner Abwesenheit sonst jemand gekommen?
– Niemand, mit Ausnahme des Doktors und des Herrn Delaporte, die über deine Abreise nicht wenig verwundert waren.
– Ja ja, antwortete Nicolef mit etwas zögernder Stimme, ich hatte ihnen nicht davon gesprochen… Wozu auch… bei einem so kurzen Abstecher, auf dem mich, wie ich glaube, ohnehin niemand erkannt hat.«
Der Lehrer sprach über die Sache nicht weiter, und seine sehr rücksichtsvolle Tochter begnügte sich, ihn nur noch zu fragen, ob er von Dorpat zurückgekommen wäre.
»Von Dorpat?… rief Nicolef etwas verblüfft. Wozu diese Frage?
– Weil ich mir eine Depesche, die gestern Abend gekommen ist, gar nicht erklären kann.
– Eine Depesche? sagte Nicolef lebhaft. Von wem denn?
– Von meinem Bruder, der mir meldet, daß er heute hier eintreffen werde.
– Wie… Jean wird kommen?… Das ist ja auffallend. Was mag ihn hierherführen?… Doch, mein Sohn ist immer sicher, mit offenen Armen aufgenommen zu werden!«
Da er aus der Haltung seiner Tochter jedoch erriet, daß diese ihn gern über die Veranlassung zu seiner Reise befragt hätte, erklärte er freiwillig:
»O, es handelte sich um eine wichtige Angelegenheit, sagte er, eine Angelegenheit, die mich nötigte, ungesäumt aufzubrechen…
– Wenn du nur von dem Ausgange befriedigt bist, lieber Papa, antwortete Ilka.
– Befriedigt… o ja, mein Kind, erwiderte er mit einem verstohlenen Blick auf seine Tochter, und ich hoffe auch, daß die Sache kein unangenehmes Nachspiel haben werde.«
So wie einer, der nichts weiter zu sagen entschlossen ist, ging er gleich auf einen anderen Gesprächsgegenstand über.
Nach dem ersten Tee am Morgen zog sich Dimitri Nicolef in sein Zimmer zurück, ordnete hier verschiedene Papiere und fing dann an zu arbeiten.
Im Hause herrschte wieder die gewohnte Ruhe, und Ilka hatte nicht die geringste Ahnung, daß sie bald von dem furchtbarsten Blitzschlage getroffen werden sollte.
Kaum war es ein Viertel auf Eins geworden, als sich ein Polizeibeamter in der Wohnung Dimitri Nicolefs einstellte. Er brachte einen Brief, den er der Hausmagd mit dem Auftrage einhändigte, ihn sofort ihrem Herrn zu übergeben. Der Mann fragte auch gar nicht erst, ob der Privatlehrer sich jetzt zu Hause befinde. Ohne daß es jemand
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