Ein dunkler Gesang

ehemaligen Liebhabers. Es war wie der Höhepunkt einer alten, blutigen Legende.
    «Sie haben gesagt, er geht immer nach Whiteleaved Oak», sagte Spicer.
    «Loste?»
    «Ja, Loste.» Er legte ihr die Hände auf die Schultern. «Sind Sie da auch sicher?»
    «Wir wollten uns heute mit Loste und Winnie dort treffen. Lol wartet dort, für den Fall, dass …»
    «Dann finden sie ihn. Vielleicht haben sie ihn schon gefunden.»
    «Und was ist mit Lol?»
    «Ich glaube nicht, dass wir noch länger hier herumstehen sollten, Merrily.»
    «Was werden sie mit Lol machen?»
    «Wissen Sie, am besten setze ich Sie im Dorf ab. Ich gebe Ihnen die Schlüssel zum Pfarrhaus.»
    «Denken Sie nicht mal dran.»
    «Na gut.» Spicer hielt ihr die Beifahrertür auf. «Vielleicht könnte ein Gebet nicht schaden.»

58 Mr. Phoebus und die Weiße Eiche
    Tim Loste und die Eiche standen im grünlichen Mondlicht.
    «Erzählen Sie mir von den Dämonen», sagte Lol.
    Er war Tim aus der Scheune gefolgt. Tim schwankte nicht mehr. Er ließ seinen Blick langsam über das silbrige nächtliche Tal schweifen, bis er schließlich an der mächtigen Eiche hängenblieb.
    «Dieser Baum ist eine lebendige Symphonie. Sehen Sie sich an, wie komplex er aufgebaut ist. Er und ich sind inzwischen sehr alte Freunde. Und ich ziehe ein paar von seinen Kindern auf.» Tim lachte. «Ich habe stundenlang hier meditiert. Bei jedem Wetter.»
    «Das hätte Elgars Mutter bestimmt gefallen.»
    «Ja.»
    Lol versuchte es noch einmal.
    «Die Dämonen. Ist das der
Royal Oak
? Der dämonische Kontrapunkt zu dem, was Sie tun? Wie die Dämonen, die sich die Seele von Gerontius holen wollten?»
    «Ich habe es am Anfang eigentlich kaum bemerkt», sagte Tim.
    «Sie haben den Lärm nicht bemerkt?»
    «Ich habe eben Kopfhörer aufgesetzt. Aber sie wollte, dass ich die Kopfhörer abnehme. Sie meinte, das wäre so vorherbestimmt.»
    «Winnie?»
    «Wollte, dass ich ohne Kopfhörer komponiere, damit ich die Gewalt der anderen Musik erfahre. Anscheinend habe ich nicht stark genug reagiert. Also sind wir eines Nachts den Hügel hinuntergegangen. Es war Samstag, und wir – beziehungsweise ich – hatte einiges getrunken. Und sie sagte: Das ist das Böse. Es verhöhnt dich. Und es hallte schrecklich laut durchs ganze Tal, und ich wurde richtig wütend und wollte wieder gehen. Und dann hat sie mich an eine Stelle geführt, in der ein Stein locker in der Mauer saß.»
    «
Winnie
hat Sie dazu gebracht, das Fenster einzuwerfen?»
    «Ich hatte schon ein bisschen was getrunken. Und man merkt schnell, dass man sie besser nicht reizt.»
    «Und dann …»
    «Ich stand einfach da und dachte: Was hast du da angerichtet, verdammt? Und dann haben sie sich auf mich gestürzt. Riesenkerle. Haben mich ziemlich zusammengeschlagen.»
    «Und wo war Winnie?»
    «Weg, um Hilfe zu holen.»
    «Winnie hat zugelassen, dass Sie zusammengeschlagen wurden.»
    Tim setzte sich unter den Baum.
    «Sie ist Schriftstellerin», sagte er.
     
    Während sie durch Wychehill fuhren, sagte Syd Spicer: «Verstehen Sie jetzt, was mit Louis Devereaux los ist? Er liebt das Töten.»
    Mit zitternden Fingern holte Merrily eine Zigarette aus der Schachtel.
    «Können Sie nicht ein bisschen schneller fahren, Syd?»
    Merrily hatte Bliss erneut angerufen und eine leicht hysterische Nachricht auf seiner Sprachbox hinterlassen. Sie überlegte sogar, ob sie Annie Howe anrufen sollte, und versuchte zugleich, sich zu beruhigen.
Kein Mensch kann Lol mit Tim Loste verwechseln. Nicht mal auf einer dunklen Wiese.
    Sie zündete die Zigarette an.
    «Was kann schlimmstenfalls passieren?», fragte sie.
    «Das erzähle ich Ihnen, wenn wir ihm begegnen. Selbsternannte Helden sind schwer einzuschätzen. Louis zum Beispiel war bei der Jagd dafür bekannt, dass es ihm sogar Spaß machte, die Jagdhunde zu erschießen, die nicht mehr schnell genug waren. Das ist eine Seite der Jagd, die sie lieber nicht an die große Glocke hängen. Aber das ist nicht das Einzige. Es läuft darauf hinaus, dass Menschen, die das Töten lieben, oft eine Rechtfertigung dafür suchen oder erfinden. Ich glaube, dass Louis, nachdem er sich erst einmal eine Rechtfertigung für den Mord an Wicklow zurechtgelegt hatte, den Akt des Tötens richtig genossen hat. Es war wie ein Rausch.»
    «Sie
verstehen
dieses Gefühl?»
    Merrily musste an Lyndon Pierce und die Blaumeisen denken. Diese kleine, gemeine, feige Gewalt ohne Risiko für den Täter.
    Für die Söhne von Devereaux ging es um etwas viel