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Ein dunkler Gesang

Ein dunkler Gesang

Titel: Ein dunkler Gesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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wütende, übernatürliche Erscheinung Edward Elgars dadurch herbeigerufen worden sein könnte, dass Hip-Hop-Musik über seine heiligen Hügel dröhnt. Wenn etwas passiert, muss es von irgendetwas ausgelöst worden sein.»
    «Das glauben Sie doch selbst nicht.»
    «Man muss jeden Gedanken zulassen, Sophie. Darum geht es bei dieser Arbeit.»
    «Und was wäre die Alternative?»
    «Die Alternative, wenn wir die Möglichkeit eines übernatürlichen Elements einräumen, wäre ein Abdruck. Spicer sagt, Elgar ist oft mit dem Rad durch Wychehill gefahren und hat manchmal auch für ein Glas Cider im
Royal Oak
haltgemacht.»
    «Vermutlich, als er die Gegend für seine Kantate
Caractacus
erkundete. Die wichtigste Szene spielt auf dem Herefordshire Beacon.»
    «Da geht es um die letzte Bastion der Kelten gegen die Römer, oder?»
    «Diese Legende ist inzwischen widerlegt. Seine endgültige Niederlage erlebte Caractacus nicht, wie lange angenommen wurde, auf dem Beacon. Aber das hätte Elgar nicht gestört, wenn er es gewusst hätte. Ihm gefiel einfach die dramatische Szenerie, und er war anscheinend von den Ritualen der Druiden fasziniert. Blutopfer und Prophezeiungen in den Eichenwäldern.»
    «Ich sollte es mir einmal anhören.»
    «Ja, das sollten Sie, aber Sie sehen darin vermutlich nur eine patriotische Komposition, die Queen Victoria gewidmet ist. Und den Schluss würden Sie wohl als imperialistisches Geschwafel abtun: ‹Die Briten mögen dieses Mal geschlagen worden sein, aber sie werden sich wieder erheben und ein größeres Reich als Rom errichten.›»
    «Vermutlich war das … der Zeitgeist damals. Und wahrscheinlich hat er auch bei diesem Stück den Text nicht selbst geschrieben, oder?»
    «Elgar hat seinem Verleger gesagt, der Librettist solle einen patriotischen
Ton
hineinbringen, aber er meinte damit nicht, dass sich der Mann nackt ausziehen und sich darin suhlen sollte.»
    Merrily lächelte.
    «Übrigens», sagte Sophie, «könnte seine intensive Radfahrerphase später eingesetzt haben, auch wenn sie bestimmt in Birchwood angefangen hat. Vielleicht, während er sein Meisterstück
Der Traum des Gerontius
fertigstellte.»
    «Das spielt nicht in den Malverns, oder?»
    «Merrily, das sollten Sie wirklich wissen. Es spielt im
Jenseits

    «Hrm … Okay. Wir können jedenfalls davon ausgehen, dass Elgar die Gegend um Wychehill gut kannte. Er war auf der Straße zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs, die Landschaft zog ihn an, und er projizierte seinerseits eigene Vorstellungen in sie hinein. Das passt zu einem Abdruck – ein zurückkehrendes Bild an einem bestimmten Ort. Ein Mitschnitt auf einer atmosphärischen Filmspule.»
    Sophies Miene war ausdruckslos. Merrily fragte sich manchmal, ob sie irgendetwas von alldem glaubte.
    «Er hat sich unzweifelhaft von der Landschaft inspirieren lassen und seine Musik immer vor dem Hintergrund der Natur sehen wollen. Sogar als Junge, wenn er am Fluss saß, wollte er aufschreiben, was die Schilfgräser sagten. Später einmal hat er gesagt, die Luft wäre voller Musik und man müsse sich einfach nur nehmen, was man braucht.»
    Interessant. Merrily machte sich eine Notiz.
    «Sein Hauptbiograph, ein Amerikaner namens Jerrold Northrop-Moore, meint, das
Cello Concerto
hätte ihm – in Amerika – das Bild einer Landschaft vor Augen geführt, die er niemals gesehen hatte. Und als er irgendwann einmal nach Worcestershire kam, wirkte alles seltsam vertraut auf ihn. Er glaubt außerdem, dass Elgars Kompositionsmuster konkret das Auf und Ab der Malvern-Hügel spiegelt.»
    «Und Lol sagte, bei seinem Tod …»
    «Entweder war er in seiner Todesstunde erstaunlich humorvoll, oder er glaubte wirklich, dass sein Geist in diese Hügel gehörte. Passt das zu Ihren Kriterien für einen Abdruck?»
    «Vielleicht mehr als das», sagte Merrily. «Aber gehen wir zunächst einmal von einem Abdruck aus.»
    «Und ist das unbedingt
schlecht
? Eine Bewegung, die sich selbst wiederholt?»
    Das Telefon klingelte und hörte in dem Moment wieder auf, in dem Sophie den Hörer abnehmen wollte.
    «Aber Elgar mit tödlichen Unfällen in Verbindung zu bringen ist ein schamloser Missbrauch.»
    «Die Leute machen sich
Sorgen

    «Und um ihre Ängste zu zerstreuen, rufen Sie Gott an, damit er den Geist eines Genies verbannt?»
    Das Telefon klingelte erneut, und Sophie nahm ab.
     
    Merrily ging zum Nachdenken zu der Elgar-Statue auf der Grünanlage vor der Kathedrale. Elgar lehnte als schmucker Gentleman in

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