Ein dunkler Gesang
Tochter reden wollte …
MOM. EIRION KOMMT FRÜH HIER DURCH. NIMMT MICH MIT. WIR MÜSSEN REDEN. E. SETZT MICH AN DER SCHULE AB. BIS HEUTE ABEND. KUSS, J.
Um halb acht war Merrily in ihrem Frotteebademantel heruntergekommen und hatte den Zettel auf dem Küchentisch gefunden.
Eirion und Jane mussten reden? Nicht, dass Merrily nichts von der abnehmenden Aktivität in der Jane-Eirion-Abteilung mitbekommen hätte. Noch vor kurzem hatten die beiden jeden Abend telefoniert, manchmal auch morgens gleich wieder. Und zwar auf dem Festnetz, weil einem Handys das Hirn grillten und SMS nur was für Kleinkinder waren.
Das war auch so etwas: In letzter Zeit hatte Jane eine Art Technikfeindlichkeit entwickelt. Ein Jahr bevor sie mit der Schule fertig war, schien sie sich von Veränderung und Zerstörung bedroht zu fühlen – damit hatte Lol womöglich recht.
Und die größte Veränderung betraf ihre Beziehung zu Eirion – er war eine Klasse über ihr und würde bald studieren. Der Abstand zwischen einem Studenten und einem Schulmädchen war riesig. Es war der Abstand zwischen einem Kind und einem Erwachsenen.
Die Sonne stieg hinter den Nebelfetzen über dem Cole Hill auf und ließ den Tau auf der Weide verdunsten. Die mystische Ley lud sich neu auf. Aber Jane trat einen Schritt zur Seite, bewegte sich aus dem Aufnahmewinkel.
«Jetzt komm schon, Jane!»
Eirion senkte die Digitalkamera. Eine Nikon, das war klar. Er hatte den Ausblick vom Gipfel des Cole Hill und den niedrigen Erdwall Richtung Kirche aufgenommen, der nach Janes fester Überzeugung ein Hügelgrab aus der Bronzezeit war. Dann waren sie weiter zu dem prähistorischen Menhir gegangen, der halb von einer Hecke verborgen und nur drei Fuß hoch war. Das alles hatte er aufgenommen, ohne zu murren. Bis jetzt.
«Nein.» Jane hob den Arm vors Gesicht. «Zum letzten Mal: Hier geht es nicht um mich, es geht …»
«Jaja, um das Gleichgewicht und die Harmonie des Dorfes und die Verteidigung des Erbes eines der bedeutendsten Männer, die es in Hereford je gegeben hat. Ich muss dir aber trotzdem sagen, Jane – als jemand, der nur noch wenige Jahre von einer glänzenden Karriere in der Medienbranche entfernt ist –, dass eine Aufnahme von dir, mit deinen festen jungen Brüsten unter dieser dünnen Schuluniform-Bluse, mindestens tausend Extraklicks bringt.»
«Du bist ekelhaft, Lewis.»
Jane stellte sich beim unteren Weidengatter hinter eine Buche. Es war eine große, ausgewachsene Buche voll frischer grüner Blätter. Eine von mehreren, die bald in einem Kettensägen-Massaker abgeschlachtet werden würden, um Platz für vierundzwanzig Luxus-Eigenheime zu machen.
Eirion kam die Ley entlang auf den Baum zu. «Jane, wirklich, ich mein’s ernst. Eine Landschaftsaufnahme bringt erst mal gar nichts. Wer will sich ein Feld mit einem Kirchturm im Hintergrund anschauen? Wir brauchen einen Menschen im Vordergrund, um die Blickachse festzulegen. Das ist kein Witz. Schließlich wollen wir die ganzen Erd-Mysteriums-Vereine dazu bringen, das auf ihre Webseiten zu stellen.»
Eirion hatte gesagt, dass es, wenn es schnell gehen musste, besser und billiger wäre, zunächst ein Informationsdokument zu erstellen, das an interessierte Einzelpersonen und an Online-Redaktionen gemailt werden konnte.
Und dafür waren die Fotos dieses Vormittags gedacht. Bis zum späten Abend konnte er mit dem Layout fertig sein, ihr das Dokument zur Abnahme schicken, und am nächsten Tag um diese Zeit konnte es schon verbreitet werden. Es würde Dutzende, womöglich Hunderte von Beschwerden regnen. Hunderte von
Hippies und New-Age-Spinnern
würden den Gemeinderatsvertretern ganz genau sagen, wohin sie sich ihren
günstig gelegenen Baugrund
stecken konnten.
Jane schüttelte sich. Verdammt. Für diese Fotos war er vermutlich um fünf Uhr morgens aufgestanden, um in Abergavenny anderthalb Stunden früher loszufahren als gewöhnlich. Mal ehrlich: Wie viele Kerle würden so was für einen tun? Jane war schon wieder total durcheinander. Sie hatte ihre Gefühle nicht unter Kontrolle, und ihre Hormone machten auch, was sie wollten. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie Eirion nicht einfach in eine verschwiegene Ecke der immer noch taufeuchten Wiese ziehen und …
… wie es wohl wäre, auf einer Ley Sex zu haben? Garantiert erlebte man dabei den ultimativen Extrakick.
Und man hätte eine unvergessliche Erinnerung, die einem nichts und niemand mehr nehmen konnte.
«Jane, alles klar? Ich meine, ist
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