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Ein dunkler Gesang

Ein dunkler Gesang

Titel: Ein dunkler Gesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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ist er nicht.»
    «Das hatte ich auch nicht angenommen. Aber ich würde gerne mit ihm sprechen.»
    «Vielleicht kann ich das für Sie organisieren. Überlassen Sie das lieber mir.»
    «Ihnen?»
    «Tim ist … empfindlich. Genau wie andere hochbegabte Menschen braucht er jemanden, der ihn schützt. Oh, ich …»
    «Mein Gott, was ist denn das?»
    Es erhob sich wie eine Rauchsäule im Dunkeln, seine Augenhöhlen waren schwarz, der Mund stand offen, und die Flügel hinter den Armen waren halb ausgebreitet. Seine Schultern wirkten beinahe schwarz vor dem roten Abendhimmel. Die Hände waren mit den Handflächen nach vorn emporgereckt, als sollten sie angenagelt werden.
    «Ganz schön gruselig, oder?», sagte Winnie Sparke. «Es heißt ja, dass die Jugendlichen aus dem
Royal Oak
es hier auf den Gräbern treiben, aber auf dem hier bestimmt nicht.»
    Der Engel stand auf einem wuchtigen Grabsockel, und die Schrift war groß genug, um im abnehmenden Licht noch lesbar zu sein.
    JOSEPH LONGWORTH 1859 – 1937
    DIE HEILIGEN ENGEL BETEN FÜR IHN,
    DIE CHÖRE DER GERECHTEN SINGEN FÜR IHN.
    «Das ist der Typ, der die Kirche gebaut hat», sagte Winnie Sparke. «Hat zu Gott und Elgar gefunden, aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.»
    «Ich versuche, das Zitat einzuordnen.»
    «Da sind Sie entschuldigt. Das ist römisch-katholisch. Kardinal Newman:
Der Traum des Gerontius.
»
    «Das habe ich mir auf der Herfahrt angehört.»
    Sophie war losgegangen und hatte mehrere Elgar-CDs für Merrily besorgt.
    «Bei dieser Musik kann man direkt anfangen, sich zu fürchten», sagte Winnie Sparke. «All diese Ebenen der Himmelsbürokratie. Nachdem die Seele ins Jenseits eingetreten ist, bekommt sie Zuspruch von ihrem Schutzengel, aber dann fangen die Dämonen an, ihr Spiel mit der armen Seele zu treiben. Und schließlich erhascht sie nur einen einzigen verlockenden Blick auf Gott.»
    «Ich glaube, so weit bin ich nicht gekommen.»
    «Also, zwischen den Dämonen und Gott wird die Seele noch dem Kerl hier ausgeliefert.» Winnie Sparke hob den Arm und klopfte auf die groteske Grabskulptur. «Dem Engel der Qualen.»
    «Von dem habe ich noch nie gehört.»
    Merrily sah in das verzerrte Marmorantlitz und war dankbar, dass es auf dem Friedhof von Ledwardine nichts Derartiges gab.
    «Seine Aufgabe ist es, bei Gott Fürsprache einzulegen, damit er Gerontius’ Seele rettet», sagte Winnie Sparke. «Da geht es darum, welches Urteil gefällt werden soll. Aber wissen Sie, was ich glaube? Ich denke, zur Hölle mit dem Kerl, wir haben schließlich das Fegefeuer schon hier.»
    «In Wychehill?»
    «Auf Erden, meine ich. Aber Wychehill … klar. Wychehill ist so gut oder schlecht wie jeder andere Ort, wenn man seine Dämonen loswerden will. Vielleicht können wir darüber ja einmal ausführlicher sprechen.» Sie warf ein Ende ihres Schals über die Schulter. «Sie kommen doch wieder, oder?»
     
    Merrily zündete sich unter der Außenleuchte der Kirche eine Zigarette an. Weil Bliss sie abholte, wollte sie nicht noch einmal hineingehen und womöglich in eine Diskussion verwickelt werden. Abgesehen davon würde sich ohnehin Syd Spicer um die Einzelheiten kümmern müssen, sollte tatsächlich eine Seelenmesse abgehalten werden.
    «Raucherin, was?»
    Sie machte vor Schreck einen Satz.
    Preston Devereaux lehnte unter einer der Eichen an der Kirchenmauer. Er rauchte ebenfalls.
    «Glückwunsch, Mrs. Watkins.»
    «Tut mir leid. Ich war nur … ein bisschen …»
    «Sie sind beinahe geplatzt vor Wut, verdammt.»
    «Tut mir leid. Aber Sie hatten vermutlich auch eine harte Woche.»
    «Gab schon bessere.»
    «Und wie geht es Ihnen jetzt?»
    «Mir?» Devereaux kratzte sich am Kinn. «Na ja, wenn Sie schon fragen. Gestern Abend habe ich mich betrunken. Und heute habe ich diesen mörderischen Land Rover verkauft, nein, verschenkt ist das passendere Wort. Konnte ihn nicht mehr sehen. Mir geht’s gut. Wenn was passiert, muss man damit leben und einfach weitermachen. Man bohrt nicht noch unnötig darin herum wie ein verdammter Städter.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Sorry, wenn ich Sie schon wieder beleidigt habe. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie aus der Gegend hier stammen, weil Sie Watkins heißen.»
    «Ein Teil meiner Familie stammt von hier. Aber ich habe nicht immer hier gelebt.»
    «Ich auch nicht. Aber wir sind zurückgekommen, oder?»
    «Ich hatte gehofft, vor der Versammlung mit Ihnen sprechen zu können», sagte Merrily. «Aber ich glaube, Sie haben meine

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